Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

2024 – in the end we’ll all become stories

Eben noch am Neujahrsmorgen in der Nähe von Rostock aufgewacht, blicken wir jetzt schon auf den letzten Tag des Jahres 2024. Die Zeit vergeht – oder vergehen wir, und die Zeit kümmert sich nicht darum? However, werfen wir einen kurzen Blick auf die vergangenen 365 Tage – und zwar einen persönlichen. Politisch sei gesagt: Vieles ist ein rechtes Elend, und patriarchalischer Populismus, zudem gepaart mit Gewalt, bringt uns nicht weiter. Der Kapitalismus hat zwar einige nette Errungenschaften hervorgebracht, doch der Preis, den wir in Form der mutwilligen Zerstörung von Mensch und Natur zahlen, ist zu hoch. Es gibt keine alternativen Fakten, und Religion – bitte nehmt sie nicht so wichtig. Erzieht eure Söhne, fallt nicht auf Propaganda herein und haut der Springerpresse genauso auf die Finger wie den Lügenbolden jeglicher Couleur.

Zum Wesentlichen: Ein paar Menschen und Ereignisse begleiteten mich das ganze Jahr über, allen voran natürlich Pia. Ich bin unendlich dankbar, dass sie meine Companera ist. Ohne sie wäre das alles nichts. Meine Eltern natürlich – ich bin froh, dass sie noch da sind, andererseits kämpft sich mein Vater durch die Tage, deren Anzahl wohl absehbar sind. Der langsame Abschied hat begonnen. Wobei ich es noch gut habe: Gleich fünf Freunde in meiner näheren Umgebung mussten sich von einem Elternteil für immer verabschieden. Meine Mutter hält tapfer die Stellung, aber allzulange wird sie das so nicht durchhalten können. Kämpfe. Luna und Timm, meine Nichte und mein Neffe, gehen brav zur Eintracht, wenn sie nicht gerade selbst kicken. Luna wird 2025 18, dann darf sie endlich alleine Auto fahren. Und meine kleine Schwester versucht, den Laden zusammenzuhalten. Nimmt man noch ihren Freund dazu, dann kennt ihr jetzt meine kleine Familie, zu der natürlich noch Pias Kids, ihre Schwester, deren Mann und die vier Kids gehören. Da ist immer was los.

Fester Bestandteil war in diesem Jahr erneut „mein“ Zahnlabor in Preungesheim mit Izet sowie das Eintracht-Museum. Beide Instanzen finanzieren mir mein bescheidenes Dasein, und ich habe zudem nette Leute um mich herum – das ist eine Menge wert. Alle zwei Wochen im Stadion auf der Waldtribüne zu stehen und „Gude Frankfurt“ zu rufen, wobei unseren Gesprächen jede Menge Leute zuhören, ist auch lustig. Ich meine, wir sind hier nicht bei einer Klitsche irgendwo, sondern bei Eintracht Frankfurt. Wobei die Faszination für Männerfußball doch insgesamt eher nachgelassen hat. Von daher war ich neben den Heimspielen nur bei einem einzigen Auswärtsspiel in diesem Jahr, in Heidenheim, gemeinsam mit Pia und Christian. Es war ein lustiger Ausflug mit dem Siegtreffer dank eines Maulwurfes. Dank meiner Dauerkarte habe ich wieder etliche Heimspiele unserer Frauen im Stadion am Brentanobad erlebt, sogar auswärts in Hoffenheim waren wir dabei. Derzeit sind die Mädels tatsächlich Tabellenführer in der Frauen-Bundesliga. Viel Zeit habe ich auch bei der TG Bornheim verbracht: Fitnessstudio, Yoga, Schwimmen, Sauna – so sieht’s unter der Woche aus. Auch ich werde nicht jünger und muss zusehen, in der Spur zu bleiben. Dabei hilft mir mein EFC, die herzigen Schwarzen Bembel und die Montagsgang sowie meine Freunde aus alten und jüngeren Zeiten. Dafür danke ich euch.

Es war, wie so häufig, ein eigenartiges Jahr – und wie so oft standen kleinere und größere Ausflüge und Reisen im Vordergrund. Am ersten Januar erwachte ich in Papendorf bei Rostock, anschließend drehten wir eine Runde am Ostseestrand in Warnemünde. Ein paar Tage später saß ich im Flieger nach Irland – als Teilnehmer der Winterreise von „Fan geht vor“. Mit dem Besuch Irlands ging ein Lebenstraum in Erfüllung. Schon als junger Mensch wollte ich auf die grüne Insel, las Bölls Irisches Tagebuch, hörte Thin Lizzy oder Rory Gallagher und liebte die Pogues. Doch es hat nie geklappt. Ein paar Wochen nach dem Tod von Shane MacGowan, dem Sänger der Pogues, schipperte ich im Januar 2024 endlich mit dem Song „The Broad Majestic Shannon“ auf den Kopfhörern über den größten Fluss Irlands. Wir hatten zuvor eine Runde um den Ring of Kerry gedreht, wo im Januar – Gott sei’s getrommelt und gepfiffen – wenig los war. Über das nachweihnachtliche Galway, die Cliffs of Moher und Donegal ging es weiter über Nordirland und Limerick zurück nach Kerry. Es war eine beeindruckende Reise mit etlichen fantastischen Bildern – obgleich wir viel im Auto saßen und nur wenig Zeit hatten, die einzelnen Momente in Ruhe zu genießen. Noch im Januar erlitten wir in Wiesbaden im Schlachthof das Konzert der Sisters of Mercy – und es war ohne Übertreibung das schlechteste Konzert, das ich jemals gesehen habe. Uninspiriert, unverständlich – eine einzige Katastrophe. Schade ums Geld.

Im Februar besuchte ich endlich mal wieder Lea und Christian in Emmendingen. Zuvor lag ich flach, war krank und legte einen Serienmarathon hin. Erst Fargo und dann Goliath mit dem großartigen Billy Bob Thornton, der mich nachhaltig beeindruckte, zumal der Kerl auch Musik macht – eine für mich neue Erkenntnis. Überhaupt Musik: And Also the Trees sahen wir dieses Jahr gleich drei Mal – in Straßburg, in Hamburg und in Berlin. Es war stets großartig, genauso wie unsere Reise nach Prag. Dort sahen wir die Interrupters. Und in Skien, Norwegen, durfte ich im November die fantastische Kari Bremnes im Ibsenhuset erleben. Anna Ternheim sah ich in Darmstadt, The Beauty of Gemina im Frankfurter Bett, Me First and the Gimme Gimmes in Wiesbaden, Revolte Tanzbein auf der Berger oder Julie Kuhl in der Musikschule in Bornheim. In den letzten Wochen hörte ich vorwiegend nordische Songwriterinnen wie Sophie Zelmani, Kari Bremnes, Anna Ternheim, Melissa Horn oder Signe Svendsen und Darkwave von Bands wie Ist Ist, Iamtheshadow, Terminal Serious oder The Rope. Mein ureigenes Sammelsurium wie so oft. Die ersten Konzerte für das kommende Jahr sind auch schon eingetütet. Wenn alles glatt läuft, sehen wir die Traitrs in Frankfurt, Ist Ist in Oslo, Kari Bremnes in Nøtterøy, Sophie Zelmani in Karlsruhe und Bruce Springsteen in Prag. Die Vorfreude ist riesig.

Das Unterwegssein ist ohnehin das Salz in der Suppe, ob mit dem Eintracht-Museum auf Spurensuche in Nürnberg, mit dem Dacia nach Straßburg, dem Fahrrad von Fuseta nach Tavira oder mit dem Boot auf die Ilha da Armona in Olhão an der Algarve. Es ging mit dem Mietwagen hoch nach Chlomos in Korfu, mit dem Zug von Oslo nach Skien oder dem 49-Euro-Ticket nach Bonn ins Haus der deutschen Geschichte. Wir spazierten am Ufer der Nahe von Bad Kreuznach nach Bad Münster am Stein, wanderten im Rheingau von Assmannshausen nach Rüdesheim oder radelten über die Hohe Straße oder bei Bullenhitze am Main Richtung Mainz-Kastel, um Graffiti zu fotografieren. Ein Highlight war für mich sicherlich der Besuch des Miniaturwunderlandes in Hamburg und die Fahrt auf der Elbe auf Frau Hedis Tanzschiff mit Silke und Ingo. Als ich in Berlin am Kanal entlang spazierte, saßen Pia und Andi in der Glühlampe und sahen, wie die Eintracht den VfL Bochum zerlegte, während wir ein paar Tage zuvor in der S-Bahn von Hamburg nach Harburg hockten und Marmoushs Treffer gegen Gladbach auf Pias Handy miterlebten – den unsere Nummer Sieben mit der Helloween-Maske bejubelte.

Ein Highlight im Sommer war sicherlich die Familienfeier im Garten von Claudia, Pias Schwester, als ich Musik auflegte und alle, aber wirklich alle, von 17 bis 70, die Nacht durchtanzten. Am nächsten Morgen hatte ich Corona, aber es hatte sich gelohnt. Alors on dance… Ein paar Tage zuvor spazierte ich in Tübingen am Neckar entlang, traurigschön, denn ich begleitete Flo am Tag danach bei der Beerdigung seiner Mutter.

Kulturell hatte das Jahr für mich auch neben der Musik eine Menge zu bieten. So entdeckte ich meine alte Liebe zum Kino neu, herausragend unter anderem Zone of Interest, Des Teufels Bad und The Outrun. Erstmals seit bestimmt 20 Jahren war ich auch mal wieder im Mal Sehn. Literarische Highlights waren für mich einerseits die Dramen von Henrik Ibsen. Ibsen wurde einst in Skien geboren, dem Ort, in dem ich heuer Kari Bremnes live sehen konnte, und so kam ich drauf. Nora oder ein Puppenheim, Hedda Gabler, Die Wildente oder Die Stützen der Gesellschaft – die Verlogenheit des gehobenen Bürgertums ist bis heute ein relevantes Thema. Ganz großartig ist auch die Trilogie von Michel Bergmann über jüdisches Nachkriegsleben in Frankfurt: Die Teilacher, Machloikes und Herr Klee und Herr Feld. Sehr bitter, sehr komisch und sehr traurig zugleich. Kathrin hat mich darauf gebracht, das war sehr gut. Dazu liefen mir erstmals die Stadtgeschichten von Armistead Maupin über den Weg. Irgendwann muss ich vielleicht doch mal nach San Francisco.

Was war noch? Der schleichende Abschied von Twitter nach langen Jahren.  Der Besuch in Worms. Der Spaziergang an der Lahn. Die kleinen und größeren Radtouren. Die Eiscafés in Preungesheim und im Oederweg. 40 Jahre Abi. 40 Jahre Stadtmeisterschaft mit dem SC Steinberg. Meine Geburtstagsfeier in der Gaddewirtschaft. Die Neuaflage meines Eintracht-Buches. Susi, Karla und Thomas in Berlin. Die Kunstausstellung im Eintracht Museum. Mein orangenes Eintracht-Trikot.

So neigt sich wieder einmal ein kunterbuntes Jahr dem Ende entgegen, geprägt von Reisen, Meeresrauschen und Verlust. Erwin Stein, Bernd Hölzenbein, Ronnie Borchers und Dieter Lindner von der Eintracht weilen nicht mehr unter uns – mit allen hatte ich in den letzten Jahren mehere Interviews geführt. Mein alter Freund Stefan aus Kindertagen schlägt sich mit einer schweren Krankheit herum, uns nahestende Menschen werden alt und gebrechlich und manchmal erwischt es weitaus jüngere mitten im Leben – so wie Gräfle, der umfiel und nicht mehr war.

Nachdem wir im vergangenen Jahr den kleinen Garten aufgeben mussten, geben wir vielleicht demnächst den großen Garten ab. Ich war kaum dort, auch weil es dieses Jahr so viel regnete. Dann würde erneut eine Ära enden und aus meinem gekannten Leben wieder ein Ist zur Erinnerung werden. Katja hat erst neulich ihr Kaufhaus Hessen nach langen Jahren aufgegeben, auch ein herber Verlust. So schiebt sich schleichend ein neues Leben in das alte, und vergeht, wie alles notwendiger Weise vergehen muss, sogar Erinnerungen und manchmal vergessen wir sogar, dass wir erinnern konnten. Es kann dir widerfahren, dass du morgens aufwachst und bist 60. Das ist mir dieses Jahr tatächlich einmal passiert. Aber solange wir da sind, nehmen wir neues an und stets lautet eine Aufgabe, etwaige faschistische Tendenzen zu bekämpfen. Es wird bei all den Arschlöchern da draußen nicht einfacher und es gibt für sie auch am Jahreswechsel keine versöhnlichen Worte. Für alle anderen gilt: Bleibt stabil und neugierig und hoffentlich von Unbill verschont. Wir seh’n uns.

4 Kommentare

  1. Uwe

    Das mit dem 60 kenne ich
    Wir sind das 40 unserer Eltern.

    • Beve

      Im besten Falle :-)

  2. Dave Mitchell

    Sehr schöner Text. Viele Abschiede halt, aber das ist der Lauf der Dinge. Ich musste das in diesem Jahr mit dem Verlust meiner Mutter erleben.

    Alles verändert sich. Nicht alles versteht man noch. Nicht alles macht man mit. Und das muss man auch nicht mehr. Eine neue Generation übernimmt. Die machen das nicht unbedingt besser oder schlechter, sondern eben anders. Diese Gelassenheit versuche ich zumindest gegenüber meinen Töchtern zu bewahren…

    Best
    Dave

  3. Beve

    Gelassenheit. Eine große Aufgabe. Eine gute Aufgabe. Wir geben uns Mühe

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