Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

„11 Freunde müssen wir sein“

Ein freier Tag und die Sonne schien halbwegs – selten genug in diesen Zeiten. Früh am Morgen schnappte ich meinen 125er Roller und durchschnitt Frankfurt Richtung Dietzenbach, besuchte meine Eltern und drehte mit meinem Vater eine Runde um die Felder. Langsam, die flinken Zeiten sind unwiderruflich vorbei und kommen nicht wieder. Auf dem Rückweg passierten wir ein Schild, welches auf spielende Kinder verweist. Das stand schon hier als ich auf Rollschuhen durch die Gegend gesaust bin. Verdammt lange her.

Zurück in Frankfurt zog ich im Schwimmbad der TG Bornheim ein paar Bahnen, das Fitnessstudio hat ja zwecks Renovierung bis Ende der Ferien geschlossen. Anschließend ging es hoch zum Goetheturm, winzig die Menschen unten im Café, weit der Blick über Frankfurt. Meine vermeintliche Heimat. Aber nicht meine Liebe. Ob es woanders dauerhaft besser ist? Irgendetwas ist ja immer. Vielleicht würde mir etwas mehr Ruhe besser stehen. Aber woanders kennt man ja niemand. Doch was heißt schon kennen? Es bleibt nicht einfach, also versuchen wir, das Beste daraus zu machen Was immer das auch ist.

Nur wenige hundert Meter vom Goetheturm entfernt, befindet sich der Frankfurter Südfriedhof – dort liegen neben anderen auch Bernd Hölzenbein und Gert Trinklein, deren Gräber ich suche. Ich frage eine ältere Frau, die zufällig mit Holz bekannt war – und sie zeigt mir die ungefähre Lage, sie ist sich jedoch nicht mehr ganz sicher. Gut, dass es die Eintracht-Museums-Gruppe gibt, Felix schickt mir den Standort, ich irre noch ein wenig durch die Reihen – dann finde ich die letzte Ruhestätte der beiden Eintracht-Helden. Direkt nebeneinander. Trinklein hatte ich einmal interviewt, Holz dagegen ziemlich oft. Einmal wollte er sogar ein Foto mit mir. Der Weltmeister bat um ein Foto, das war schon irre. Damals trug ich ein weißes Shirt. „Frankfurt’s Stolz, der Grabi und der Holz“ stand darauf geschrieben. Mit Apostroph. Als ich ihn ein letztes Mal vor ein paar Jahren auf die Bühne bitten wollte, zog er mich kurz bevor es losging zur Seite: „Beve, nimm jemand anderen,“ raunte er mir  zu – und ich ahnte, dass es ernst war. Statt seiner erklärte sich Ronny Borchers damals bereit. Das war der Anfang vom Ende.

Hölzenbein und Trinklein liegen nebeneinander, der eine mit frischen Blumen versorgt, der andere bewacht von Buddha. Genauer gesagt, sogar von zwei Buddhas. Auf der Bank dahinter zitiert eine aufgeschraubte Plakette Gert Trinklein: „11 Freunde müssen wir sein“. Ob damals alle wohl wirklich Freunde waren? Zumindest sind zwei jetzt vereint, Grabis Grab liegt in Wiesbaden, Nickel, Kunter, Wienhold, Müller, Lorenz, Schaub – auch sie weilen alle nicht mehr unter uns. Es waren die fußballerischen Helden meiner Kindheit und frühen Jugend. Verdammt lange her.

Seltsam mental beschwingt rolle ich am einstigen Henninger-Gelände vorbei, dort wo wir an der BP auf unseren nächtlichen Touren Bier und Cola und Raider einkauften bevor es in die Frankfurter Nacht ging. Cruisend mit alten Daimlern oder Opel Rekords. Fahre vorbei an der alten Großmarkthalle, die jetzt die EZB beherbergt, vorbei an der einstiegen Feuerwache am Ostbahnhof, vorbei am einstigen Gewölbekeller an der Ostparkstraße, vorbei am Ostpark, wo ich als Knirps  am dortigen Weiher ein Holzschiff an der Leine ins Wasser ließ und mich fragte, weshalb erwachsene Männer beim Spazierengehen immer die Hände hinter dem Rücken verschränken.

Mein Ziel ist der Riederwald, dort wo Holz und Trinklein früher trainierten, wo Bernd Nickel einst wohnte. Das Gelände hat sich verändert – wie so vieles, andere Menschen treiben Sport, verwalten oder verkaufen Merchandise im Fanshop. Heute hat die Eintracht ein ein neues Trikot vorgestellt, in Anlehnung an das nur einmal getragene orangene Infotec-Jersey aus der Saison 81/82. Ich besitze nicht viele Trikots der Eintracht. Aber das gefällt mir außerordentlich gut. L ist zu knapp aber XL passt. Wenig später verlasse ich nach einem Schwätzchen den Fanshop. In der Hand mein neues Trikot in orange. Was habe ich geschimpft als die Eintracht einen rosa Schal im Angebot hatte, auch als die UF aufgerufen hatten, in orange nach Karlsruhe oder Bordeaux zu fahren verweigerte ich mich als Traditionalist. Aber an einem Tag wie heute, an dem die Vergangenheit so eigenartig bunt leuchtet, darf ich das. Und es sieht ja auch schick aus, oder?

 

8 Kommentare

  1. Hans-Gerd Krampitz

    Das bringt mich zum Nachdenken, ich werde mich wohl einmal aufmachen Richtung Südfriedhof, habe als Rentner ja Zeit genug die Gräber zu finden. Danke für den wunderschönen Text, hab nicht gewusst,dass du eine Verbindung zu Dietzenbach hast, in Dietzenbach bin ich Eintracht-Fan geworden, genauer in Dietzenbach -Steinberg.

    • Beve

      Ich war mit dem SC Steinberg sogar Stadtmeister 1984 :-)

  2. Ruland

    Dieser Text ist so ehrlich und feinfühlig geschrieben ich hatte das Gefühl neben dir die kleine Reise zu machen.

    • Beve

      Sehr schön :-)

  3. Pia

    Sehr schöner Text für unsere Helden.
    Und mein Held in orange

    • Beve

      :-)

  4. Michael Wenigmann

    Wunderbare Zeilen Beve / Danke schön!
    War schon an Grabi s Grab in WI-Biebrich -sehr bewegend.
    Zum Holz und dem Gert – das nehme ich mir fest vor, wenn ich auch aus Koblenz komme.
    Es waren auch meine Helden Mitte der 70-er.

    • Michael Wenigmann

      Jetzt kann ich auch noch zum Ronny ans Grab…zu viele zuletzt. Bin traurig.

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