Es war ein hochinteressanter Abend im Eintracht Museum. Zu Gast war Uli Borowka, der im Rahmen der Reihe Die Macht des Sports nicht nur aus seinem Buch „Volle Pulle“ vorlas, sondern im Gespräch mit Jan Christian Müller von der FR Details aus seinem bewegten Leben verriet. Zuvor hatten beide an einem Workshop zur Suchtprävention teilgenommen.
Und im Museum ging es natürlich auch um die Eintracht. Im vorletzten Spiel der Saison 91/92 trat die SGE zu Hause gegen Werder Bremen an. Diese hatten wenige Tage zuvor im Stadion des Lichts in Lissabon gegen den AS Monaco den Europapokal der Pokalsieger gewinnen können und daraufhin mächtig gefeiert. Ein Sieg der Eintracht hätte die Meisterschaft bedeuten können, hätten die Dortmunder und der VfB ihre Spiele verloren, die erste seit 1959. Und Werder war bereit mitzuspielen: „Wir überlegten uns wer Meister werden könnte. Dortmund? Die mochten wir nicht. Stuttgart? Die mochten wir auch nicht. Die Eintracht? Ok, und wenn sie feiern, gibt es wohl auch etwas für uns zu trinken.“
Laut Borowka hatten die Spieler der Eintracht schon vor Anpfiff mächtig Bammel vor dem Spiel, Werder lies es jedoch gemächlich angehen. Doch als die Eintracht begann, überhart zu spielen, reagierte die Truppe von Otto Rehhagel und hielt dagegen. Und so kam es, dass Werder die frühe Führung der Eintracht in der zweiten Halbzeit noch drehen konnte. Erst Yeboah stellte in der 82. Minute den Ausgleich her. Borowka meinte, dass er mit voller Absicht noch einen Frankfurter im Strafraum umgetreten hätte – und dass er der einzige gewesen sei, der vehement Elfmeter gefordert hätte. Doch die Pfeife des Schiedsrichters Lothar Löwe aus Unna blieb stumm. (Dass es von Unna nach Dortmund nur ein Katzensprung ist, sei nur am Rande erwähnt.)
Begonnen hatte der Abend mit einer kurzen Lesung Borowkas aus seinem Buch Volle Pulle, der erste Text endete mit den Worten: Mein Name ist Uli Borowka und ich werde mir jetzt das Leben nehmen.
Es war starker Tobak, den Borowka aus seinem Leben servierte, und wenn auch viele Details schon aus diversen Auftritten in Talkshows bekannt waren, der totale Absturz in die Alkoholabhängigkeit, der Verlust von Familie und Geld, so herrschte im Museum doch eine hochinteressierte Aufmerksamkeit: Hier ging es zur Sache. Jan Christian Müller tat das Seinige dazu, fragte behutsam nach und hielt sich weitestgehend im Hintergrund, was der Veranstaltung gut zu Gesicht stand.
Womöglich war es die außergewöhnliche Konstitution Borowkas, sowohl mentaler als auch physischer Art, die ihm nicht nur das Leben gerettet hat, sondern ihn nunmehr seit 14 Jahren vor dem Alkohol bewahrt. Trotz etlicher Abstürze gab er im Training und im Spiel alles – und wenn er es einmal nicht zum Training geschafft hatte, wurde er von Trainer Rehhagel geschützt, die Presse mit „Borowka hat eine Muskelfaserriss Magen-Darm-Grippe“ beruhigt. Co-Abhängigkeit bezeichnet es „Die Axt“ wie Borowka aufgrund seiner rustikalen Spielweise genannt wurde heute, falscher Schutz, der nichts an der Problematik ändert.
Vier Jahre nach dem Europapokalsieg war Borowka am Ende, seine Frau Carmen hatte ihn mit den Kindern verlassen, der einstige Reichtum war versoffen, ein Kasten Bier am Tag dazu Whiskey und Magenbitter die tägliche Dosis. Und dennoch dauerte es weitere vier Jahre, bis ihm Freunde aus Gladbacher Zeiten einen Therapieplatz beschafften. 12 Kilometer war Borowka gelaufen, zahnlos, voll, um mit Christian Hochstätter einen Kaffee zu trinken – und dieser war es auch, der ihn nicht mehr schützte. Am Vorabend der Therapie schüttete sich Borowka alles in sich hinein, was an Alkohol vorhanden war. Die folgende Untersuchung brachte nicht nur 0,0 Promille, sondern auch moderate Leberwerte – noch glaubte der einstige Gladbacher und Bremer, er habe hier nichts verloren
Borowka ist nicht der einzige Profi, der sich sehenden Auges in den Abgrund soff, Helmut Rahn, Gerd Müller, Paul Gascoigne oder Tony Adams sind nur die Speerspitze. 19% aller aktiven Fußballer und über 30% ehemaliger hätten ein Suchtproblem; Medikamente, Alkohol, Spielsucht – und dennoch scheint dies Thema weder in den Vereinen noch in den Verbänden eine große Rolle zu spielen. Während jedoch der 86fache Nationalspieler und trockene Alkoholiker Tony Adams in England für sein Projekt die Sporting Chance Clinic große Unterstützung erfährt, so zeigt man sich beim DFB eher desinteressiert. Nicht zuletzt deshalb ist der sechsfache Nationalspieler Borowka aus dem Club der Nationalspieler ausgetreten.
Als Borowka seine stationäre Therapie beendet hatte, bewarb er sich bei 20 Clubs als Jugendtrainer – und wurde von allen abgelehnt, zu groß die Angst vor Rückfälligkeit, vor Problemen. Wieviele aktive Trainer ein mehr oder weniger bekanntes Suchtproblem haben, ist nicht bekannt.
Borowka hat 2013 den Suchtprävention und Suchthilfe e.V. gegründet, Fußballer aus allen Ligen hätten sich bei ihm gemeldet. Nun hat Franz Beckenbauer angeregt, einen Sozialfonds für in Not geratene ehemalige Fußballer zu gründen. Wer weiß, vielleicht findet die „Lichtgestalt“ mehr Gehör als Borowka, der sogar noch drei Trikots von Maradona im Keller hat. Das DFB-Museum wird vergeblich darauf warten.
19%? 30%? Das sind ziemlich heftige Zahlen. Und wie bei anderen, unter dem Deckel gehaltenen und je nach Anlass nach oben schwappenden Themen – schwule Fußballer, depressive Fußballer – bin ich mir nicht sicher, ob mehr Öffentlichkeit und mehr Institutionalisierung der richtige Weg sind. Schwierig. Das Verhalten des DFB im Umgang mit Borowka wundert nicht – für alles ein offenes Ohr, aber nur, wenn das, was anders ist, ins aufgeräumte Weltbild und ins eigene Sendungsbewusstsein passt.
Uli Borowka wird mir auch als trockener Alkoholiker leider nicht sympathischer. Bei mir bleibt – wenn ich ihn z.B. in Talkshows gesehen habe – immer ein leicht unangenehmes Gefühl zurück. Ich wünsche ihm trotzdem und selbstverständlich alles Gute – persönlich und für sein Projekt!
Wieso hast du ein unangenehmes Gefühl?
Ein Meilenstein wäre sicherlich mehr Klartext und weniger Rumgeeiere, was Sachthemen angeht. Eigentlich überall.
Schwierig zu sagen, ohne ungerecht zu sein. Ich habe in meinem persönlichen Umfeld Erfahrungen mit dem Thema sammeln müssen (dürfen kann ich schlecht sagen). Vielleicht bin ich deshalb besonders empfindlich. Die immer noch und nochmal mit immer kräftigeren Worten vorgetragene Selbstbezichtigung – wie ich sie in zwei Talkshows gehört habe – geht mir gegen den Strich und ich bin mir nicht sicher, ob sie hilfreich ist.
Gestern war Uli bei Lanz, hat sogar das Museum erwähnt. Ok, die Antworten konnte ich auch (vor allem nach Lektüre des Buches) geben. Hilfreich? Seit vierzehn Jahren scheint es zu klappen. Im End ists vielleicht auch notwendig, da er ja mit seiner Geschichte Vorträge etc hält – und so natürlich die Stauner auf seiner Seite hat.
Schwierig, diesen intensiven Abend zusammenzufassen. Einen Gedanken greife ich noch mal auf, weil er mich über die Veranstaltung hinaus beschäftigt: Wenn wir es nicht schaffen, Menschen über die medizinische Rehabilitation auch beruflich wieder einzugliedern, stellen wir die Weichen für den Weg zurück in die krankmachende Abhängigkeit. Doch auch das ist viel leichter gesagt als umgesetzt. Und ich frage mich, ob mein Aufruf plötzlich zum Lippenbekenntnis werden könnte, wenn sich bei mir tatsächlich plötzlich ein trockenen Alkoholiker bewirbt …
Kid, wie immer liegt die Wahrheit auf dem Platz.