Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Berlin, Berlin

Seit über zwanzig Jahren fahre ich regelmäßig nach Berlin, meist mit dem Auto über Jena und Leipzig. Und genau so lange stoppte ich stets zwischen Schorba und Apolda, kurz hinter Magdala zwecks einer kleinen Pause. Eine unscheinbare Kaffeetasse an der Autobahn wies auf eine Raststätte hin, die so ganz anders daher kommt wie gewohnt. Anfangs sogar mit Holzkohlegrill unterm Sonnenschirm

Statt riesiger Flächen erwartet den Reisenden ein kleiner Container, ein paar Schritte dahinter harren die Dixie-Klos auf Kundschaft. Die Schlangen vor dem Container wurden mit den Jahren immer länger, denn all die Jahre gab es hier für überschaubares Geld eine Thüringer und  eine Vita Cola, wer wollte, konnte sich sogar mit Wurstwaren aller Art zum Mitnehmen eindecken. Anschließend ging es zurück auf den Highway, das war stets eine heikle Angelegenheit, denn die Raststätte befindet sich an einem Hang und es gibt keine Auffahrspur, aber es hatte noch immer alles geklappt. Auch 2006, als wir zum Pokalfinale gerollt sind.

Damit ist in ein paar Wochen nun Schluss. Die Autobahn wird umgebaut, der Betreiber, Imbiss Haase, verlegt demnächst seinen Standort in ein Gewerbegebiet ein paar Meter abseits der Autobahn. Somit dürfte dann auch der letzte Rest DDR-Feeling an der A4 verschwunden sein. In diesem Fall durchaus nostalgisch bedauerlich.

DDR Feeling am Prenzlauer Berg hingegen gehört schon lange der Vergangenheit an. Nunmehr befindet sich hier so eine Art Bullerbü für Erwachsene mit putzigen Geschäftchen mit putzigen Namen  in putzigen Häuschen. Zuckerschön und Silberwind, so in etwa heißen die Läden hier, in denen es entweder etwas zu essen oder zum kruschpeln gibt. Mittlerweile gibt es hier auch keine freien Parkplätze mehr. Entweder Anwohnerparken oder Bezahlen. Drüben, im Wedding, bei den Armen, da darf der Fremde wieder sein Auto abstellen. Da wir aber eh mit dem Fahrrad unterwegs sind, lässt sich das verschmerzen. Als ich das erste mal hier war, gab es noch nicht einmal Autos.

Im Westen, am Mehringdamm, stehen junge Menschen an einer unscheinbaren Dönerbude Schlange. In einer unfassbaren langen Schlange. Ich frage einen jungen Mann, der mir freundlicherweise erklärt, dass es hier den besten Döner Berlins gäbe. Steht im Reiseführer. Ein paar Schritte weiter harrt seit Jahren Curry 36 seiner Kundschaft. Dort gibt es den besten Fleischspieß Berlins. Sage ich, wobei sich ein Umweg zum Gesundbrunnen lohnt, in der dortigen Bude gibt es nämlich die zweitbesten. Und da Konnopke an der Schönhauser auf Geflügelspieß umgesattelt hat, kann er mir gestohlen bleiben. Der Kreuzbürger geht übrigens ein paar Schritte weiter zum Döner im einstigen Burger King. Dort gibt es keine Schlangen.

Hinten in Treptow kann man mit Wasserblick frühstücken, Hoppetosse oder Freischwimmer heißen die Locations. Ein paar Schritte entfernt sind Häuserwände mit großen Grafittis überzogen. Die kann man fotogtafieren. Davor ist ein Lager. Ein kleiner Junge ruft raus, raus.  Das hat er von seinen Eltern oder so. Dabei hatte ich ihn gar nicht auf dem Bild. Mitte ist jetzt nicht so der Bringer – aber immerhin ist vor ein paar Jahren das Ramones Museum hierher gezogen. Das war atmosphärisch in Kreuzberg zwar besser aufgehoben, ist aber immer noch eine Reise wert. Zumal an diesem Wochenende, an welchem mit Tommy Ramone der letzte der Originalbesetzung gestorben ist. Für fünf Euro inklusive Schoppen und Button sich mit „Now I wanna sniff some glue“ die Zeit zu vertreiben, ist schon knorke. Es regnet, Zeit für einen zweiten Schoppen auf einem Sessel am Nierentisch. Hey ho, let’s go.

Es ist der Tag des großen WM Finales. Natürlich laufen Tausende Schweinsteigers durch die Stadt, ganz kleine aber auch schon in Ehren ergraute. Viele sprechen englisch. Später jongliert ein Straßenkünstler mit Fackeln am Mauerpark, Hunderte sitzen im Sommerlicht und applaudieren. Manch einer trägt skurrile Kopfbedeckung, Berlin, Home of the Profilneurotiker. Abends dann das Endspiel, brav im Wohnzimmer bei Beamer und Chips: Immerhin, diesmal schlafe ich erst nach Abpfiff ein.

Weltmeister. Die weitaus größere Leistung aber ist es, dass wir vier Tage ohne Platten durch Berlin geradelt sind, das gabs noch nie. Kurz hinter den Yorck-Brücken ist auch dieser Traum zu Ende. Dank moderner Technik aber ist im Handumdrehen ein Fahrradladen gefunden und der Schlauch gewechselt. Irgendwo da hinten ist das Brandenburger Tor. Sieht man aber vor lauter Fanmeile nicht. Zurück in Frankfurt überlege ich, einen Laden mit Kruscht zu öffnen. Silberschön. Oder Zuckerblick. Oder Fräulein Beve, so in etwa könnte er heißen. Und zu kaufen gibt es Taschen aus veganer LKW-Plane.

15 Kommentare

  1. pia

    „Fräulein Beves Gespür für Kruschtel“ wäre auch ok.
    Aber so ganz kann ich mir das nicht vorstellen ;-)

    Schön wars trotzdem! Berlin ist (noch) immer eine Reise wert.

    • Beve

      :-)

  2. Stay Cold

    Schöner Bericht Beve, wie immer eigentlich.
    Die Kaffeetassenrast ist mir wohlbekannt durch den alljährlichen Road Trip zum Full-Force-Festival und gehört für uns zum Pflichtprogramm. Schade, dass die Location umzieht…

  3. Beve

    Im Zweifel halt mal ein paar Meter raus fahren und gucken, womöglich lohnt es sich.

  4. Eintracht-Laie

    kruschpeln….lange nicht gehört/gesehen dieses Wort. :-)
    Schöne Berlin-Impressionen, danke dafür.

    • Beve

      Ja, manchmal wird gekruschpelt :-)

  5. Kid

    Beim Foto „Frankfurter Tor“ bleibe ich hängen. Ich frage mich gerade: Wie viele wird es davon in der neuen Saison geben? Oder haben wir davon nicht bereits genug – von Frankfurter Toren, meine ich, und bin mir nicht sicher, ob das Wortspiel verständlich ist. Besonders gut ist es nicht, aber jetzt habe ich es geschrieben, da bleibt es auch stehen. Im Leben geht halt nicht nur mancher Schuss, sondern bisweilen auch ein Gedanke oder eine Formulierung daneben. Passiert dir übrigens selten. So selten, dass ich auf Anhieb nicht einmal ein Beispiel nennen könnte. Damit habe ich die Kurve dann doch noch gekriegt, wenn auch ziemlich um die Ecke. Denn mehr als „danke“ für das Lesevergnügen hatte ich nicht zu sagen. Das war mir aber zu kurz. Wie du siehst. :-)

    • Beve

      Sehr schön, vor allem die Frankfurter Tore :-)

  6. ThorstenW

    Tja, meine nächste Reise nach Leipzig ins dortige Büro eines großen heimischen Telekommunikationsanbieter wird wohl dann auch ohne die übliche Pause stattfinden. Erstaunlich wie viele Menschen immer die gleichen Dinge tun. Berlin erst wieder für die Eintracht, aber dann schauen wir uns mal ein paar Deiner Fundstücke an.

    Pia’s und Beve’s Currywurst-Kruschelbude würde ich ja dann auch ab und an besuchen ;-)

    • Beve

      Leider bin ich beim Pokalspiel nicht dabei. Muss in Österreich urlaubern. Gemein.

  7. Fritsch

    Es ist immer wieder einzigartig & wunderbar, diese verrückte Stadt durch Deine Augen zu sehen & von Dir erzählt zu bekommen. Knorke ist da noch untertrieben, Beve!

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.

    • Beve

      Manchmal wünsche ich mir das West-Berlin der alten Tage zrück :-)

      • Fritsch

        Du bist nicht allein, wenn Du vträumst von West-Berlin … um einen alten Schlager einmal etwas abzuwandeln.

        Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.

  8. UliStein

    Siehst Du, Beve und ich wünsche mir manchmal das alte Ostberlin zurück. Wo ich mich nicht hinter 200 Touris anstellen musste um meine nackte Curry bei Konnopke zu essen…

    So hat jeder seine Vorlieben. ;)

  9. Beve

    In Ostberlin war ich nur zwei Mal, bis Konnopke kam ich seinerzeit nie :-)

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