Leiden. Am Ende war nichts als Leiden. Die Leute kommen ins Eintrachtmuseum, bedröppelt, mit roten Augen, fassungslos, fassungslos über eine 86. Minute, die uns kollektiv ins Leere hat stürzen lassen. 3:3. Abpfiff. Vorbei. Der Urlaub ist zu Ende, die Wirklichkeit hat uns wieder.
Der Traum ist aus. Begonnen hatte alles vielleicht im letzten Saisonspiel der Saison 12/13, in dem Moment, in dem Kießlings Führung gegen den HSV auf dem Videowürfel übermittelt wurde und der Wolfsburger Rodriguez im aufgebrochenen Lärm der 51,500 den Ball zum 2:2 Ausgleich gegen den VfL ins eigene Tor verduzte. Europacup in diesem Jahr, der Wunsch wurde Wirklichkeit. Eintracht Frankfurt international.
Und der Europacup-Virus hatte alle gepackt. Na, sagen wir fast alle – einige wenige hielten den Europapokal für kacke, weil die Liga ja wichtig ist. Wobei erstaunlicherweise eine gute Platzierung in der Liga gefordert wird, die zu internationalen Spielen berechtigt, diese dann aber kritisiert werden, weil wir in der Liga nicht mehr auf internationalem Kurs sind, verstehe das wer will.
Europacup 2013/2014 – wir werden uns einst daran erinnern, wie wir uns an die Urlaube erinnern, die besonders schön waren, in denen wir zum Abschied geweint haben und mit brüchiger Stimme versichert haben: Wir kommen wieder. Irgendwann werde ich hier noch einmal sein. Adios, Adeus, Good Bye, Au revoir, Ciao – hasta luego.
Mit dem Abpfiff gegen Porto rasten noch einmal die Highlights der vergangenen Monate im Minikurzfilm durchs Gehirn, die Choreos bei den Heimspielen, die Auslosung im Fanhaus, die feuchten Augen, als ich im Backstage saß und das Spiel der Eintracht in Nikosia gesehen habe und mich für einen Moment bedauerte, nicht vor Ort zu sein. Plötzlich bade ich im Mittelmeer in Tel Aviv, spaziere durch Jaffa, fahre Fahrrad durch Tel Aviv, stehe in Jerusalem an der Klagemauer, gute alte Bekannte tragen erstmals eine Kippa, trauere in Yad Vashem. Dann leuchtet alles orange, salut, ca va und etwas später sitzen wir Austernessend in einer Bretterbude am Atlantik. Und auf einmal heißt es: Porto. Welch ein Glück. Die Preise für Flugreisen steigen minütlich, Tausende sitzen am Rechner, buchen abenteuerliche Wege und auf einmal sind wir da, blicken über den Douro mit einem Portwein in der Hand, liegen 0:2 zurück, viele sind zu spät eingelassen worden, gequetscht worden, der Frust muss raus, 7.000 Frankfurter machen ein Heidenspektakel und die Eintracht dreht das Ding noch, 2:2 – Eintracht Frankfurt international.
Dann steht Stephan Schröck bei uns auf der Waldtribüne, ist ein bisschen geknickt, dass er nicht spielen darf, wirkt gefasst und voller Zuversicht. 1:0 durch Aigner, ich rumpelstilze auf der Terrasse wie ein Derwisch, gehe in der Halbzeit hoch zu meinem Vater, lege ihm einen Eintracht-Porto-Schal um, es ist sein erstes Europacupspiel. In der Halbzeit hieße das Achtelfinale Eintracht gegen Swansea – aber was heißt das schon. 2:0 Alex Meier Fußballgott. Ich sperre den Mund auf, bin kurzzeitig fassunglos gelähmt. Obacht, wir haben auch ein 0:2 gedreht – und Porto dreht das Spiel, die Eintracht wankt, aber sie fällt nicht, im Gegenteil, Meier macht das 3:2, die nächste Runde zum Greifen nah. Dann der Freistoß, alles wartet auf einen 25 Meter Hammer, aber der Ball kommt nach außen, da ist kein Frankfurter, da ist nur ein Portuenser mutterseelenallein und ich weiß, was kommt, es ist die 86. Minute, der verfluchte Ausgleich. Die Portuenser verschleppen das Spiel, wir haben keinen Stürmer mehr auf dem Platz, doch wer weiß. Aber es kommt nichts mehr, außer der Leere und der Traurigkeit und der Gewissheit, dass es nun vorbei ist, dass die Reise ein Ende gefunden hat. Hallo Wirklichkeit.
Es war eine tolle Zeit, wieviele Menschen haben wir irgendwo in Europa getroffen, wie bist du hier, wo wohnst du hier? Tausende kurze Gespräche, tausend Gesichter, wir haben ins Mittelmeer gepinkelt und in den Atlantik, andere sind an bewaffneten Grenzsoldaten vorbei marschiert, nachdem sie schon eine ganze Woche lang nach Aserbaidschan gereist sind, man kann sagen: Wir haben gelebt. Durch die Eintracht, mit der Eintracht. Als Eintracht.
Und jetzt erinnern wir uns an die Tage, an denen wir das erleben durften und wir warten. Warten darauf, wieder einmal irgendwann jene magischen Momente zu erleben, die so selten sind, so kostbar, weil sie nicht geplant werden, weil sie bezahlt werden mit dem Leiden über Wochen, Monate und Jahre – und auf einmal ist sie da, die Belohnung, der gefrorene Moment für die Ewigkeit, in dem alles für Bruchteile der Zeit zusammen fließt. Dafür leben wir. Dafür pilgern wir Woche für Woche in ein Stadion, lassen uns für teuer Geld einpferchen, gucken dumm aus der Wäsche, nach einer Klatsche de luxe ein paar Hundert Kilometer von zuhause entfernt im Regen stehend und auf einmal sitzen wir bei einem Glas Portwein über den Douro auf Porto blickend und sagen: Danke Eintracht, dass ich das erleben darf. Europacup, I’m missing you. Irgendwann mal wieder. So Gott will.
„verstehe das wer will“ – zu deinem Verständnis, Beve: :-) Es gibt auch noch Leute wie mich, die den Europapokal fürchte(te)n, nicht, weil er uns eine erneute Europa League-Qualifikation über die Liga kostet – die hielt und halte ich mit diesem Kader ohnehin nicht für wiederholbar/Wahrscheinlich -, sondern uns einem möglichen Abstieg näher gebracht hat, wie ich meine. Beweisen kann ich es natürlich nicht und jetzt ist es auch nicht mehr wichtig. Gestern habe ich gelitten und geweint.
hey kid, wir können auch ohne europa absteigen. das können wir sogar sehr gut. dann lieber mit :-)
gelitten und geweint, wie ich, wie so viele. albern. aber wahrhaftig.
Das trifft es sehr gut… Ich hoffe die Mannschaft kann sich mehr für Spiele gegen Stuttgart und ähnliches motivieren als ich derzeit.
max, das kommt wieder. aber es braucht zeit, alles zu verarbeiten. die saison ist noch lange.
…und gerade auf Arte läuft eine Doku über Bordeaux und Arcachon… ach, wi wahr das alles schön. Danke Eintracht, ohne Dich wäre ich da nie gewesen !!!
ach wie war das alles schön. genau :-)
Und hier im Museum steht der UEFA-Cup. Und wird wieder zurück in die Vitrine gestellt.
Ich hab immer noch Tränen in den Augen …
saudade. aber wir holen ihn wieder raus. den uefa-cup.
Fing nicht vielleicht alles schon mit „Slavia Paderbornska“ an? Über ein leises „Europacup, I’m missing you“ zu Beginn der letzten Saison bis zum Orkan „Europacup, in diesem Jahr“ gegen Wolfsburg. War eine wunderschöne zweijährige Reise, die gestern ihr Ende gefunden hat. Verdammt, wie vermisse ich dieses Europa :(
ja, damals fing der wunsch an. und schade, denn normalerweise hätten wir dieses europa gewinnen müssen.
Danke für diese tolle, emotionale und so wahre Zusammenfassung dieser irren Reise. Ich habe jede Minute genossen (den Einlass in Porto und die 86. Minute gestern mal ausgenommen).
ja, die 86. nehmen wir da einmal aus. ach mann, es wäre so schön gewesen. so erinnern wir uns halt auch wehmütig an den abschied.
Das gestern war wohl die mieseste Art auszuscheiden, durch die Auswärtstore, das war richtig bitter. Ich hoffe nur das wir das in naher Zukunft mal wieder erleben können, denn es macht schon Spaß.
nahe zukunft wäre schön, wir werden ja auch nicht jünger :-)
Unfassbar, 1Tag später, ich lese diese Zeilen und spüre immer noch die Trauer, habe wieder Tränen in den Augen. Ich, der dachte anhand des Alters alles erlebt zu haben mit der Eintracht, Relegationsspiele, DFB Pokal Endspiele, UEFA Cup Spiele, 2 Tage im Ford Capri on the road to Bukarest… Ich dachte nie, dass das Ausscheiden in Sochaux international zu toppen sein werde, ich habe mich getäuscht. Unfassbar! Aber, wir sind Eintracht! Nur die SGE!!!
zwei tage im ford capri nach bukarest – die geschichte musst du auch einmal ausführlicher erzählen. nur die sge! genau.
Danke für deinen treffenden Bericht Beve. Jetzt kann ich net mehr schreiben bis in Porto, oder sonst wo in Europa, aber die Erinnerung kann uns keiner nehmen ! Jetzt alle Kraft zum Klassenerhalt . Beim letzten Heimspiel gegen Lev will ich einen „erstklassigen“ Äppler mit Pia und dir trinken :-)
das machen wir :-)
Ja, es war toll. Fantastische Erlebnisse
Ich bin immer noch bewegt und traurig aber auch stolz darauf, was wir abgerissen.
Melancholie, fuhr nach Tel Aviv…
ideal, sozusagen – bis auf den abschied aus europa.
Ach Beve… wunderbar zusammengefasst.
„wir haben gelebt“
genau :-)
Kleine verbesserung: der freistoßtrick war vorm 2:2
oh, da haben mir die tränen die erinnerung verwischt. danke!
Danke Eintracht Frankfurt. Danke Beve für Deine den Europapokal begleitenden Zeilen und den Tipp mit den Porto-Hühnchen vom Holzkohlegrill.
Hoffentlich erleben wir sowas mal wieder. Ich befürchte die Liga (und der Fußball ganz allgemein) geht einen Weg, den wir auf Dauer aus „eigener Kraft“ nicht mehr mitgehen können. Dann gibt es Europapokal nur noch, wenn wir uns verkauft haben. Aber dann gehe ich nicht mehr ins Stadion. Denn als Preis dafür eine verkaufte Seele, geht leider mit mir nicht. Mit diesem Bewusstsein habe ich Porto erlebt, es vielleicht nie wieder mehr mit der Eintracht erleben zu können.
Aber ich will jetzt nicht allzu schwarz malen. Wenigstens haben wir ja noch im Januar Barcelona… ;)
barcelona, und mit uns ja dann auch irgendwie eintracht. aber du hast recht, es könnte eine zukunft geben, die nicht unsere ist. und die frangos, die brathähne waren erstklassig :-)
Fussballfans, die letzten Romantiker. Stellt euch der Realität: Es ist eben einfach großartig, da kann man nichts machen.
weise gesprochen. war gestern in mannheim, waldhof s sge II. as ist dann auch wieder realität. aber eine mit erinnerungen.
Mir stand auch das Wasser ziemlich hoch im Gesicht – aber nicht zum Schluss sondern nach dem 1:0, 2:0, 3:2.
Direkt neben dem Auswärtsblock sitzend und die häßlichen Fratzen und Gesten vor Augen, sah ich den 27-fachen portugiesischen Meister, 16-fachen Pokalsieger, 2-fachen Weltpokal-, CL-, UEFA-Cup-Sieger von meiner, unserer Eintracht, die seit gefühlten hundert Jahren nichts mehr gerissen hat, gedemütigt am Rande einer schmachvollen Niederlage. Das kann mir keiner mehr nehmen.
ach mensch, hätten wir bloß gewonnen – lumpige vier minuten …
Danke, Beve.
Ich kann immer noch nicht fassen, dass es wirklich vorbei ist.
Europacup, I’m missing you…
in der erinnerung ist es nie vorbei. das ist das schöne.
Am Ende werden fast nur die guten Erinnerungen bleiben aber eben schmerzt es noch unheimlich. Wir haben schon viel erlebt. .Viele Höhen und Tiefen, aber diese 86. Minute gehört mit Sicherheit zu den schwersten Augenblicken meines Eintracht Lebenslaufs. Als ich nach Porto geflogen bin, hatte ich wenig Hoffnung und habe es als Abschiedsspiel gesehen, aber dann kam die Hoffnung. Es tut weh.
ja, der schmerz – aber es ist ein schöner schmerz, weil ja viel gelebtes leben dahinter steckt. die portugiesen machen aus dem stoff lieder, den fado :-)
Ach Beve, zum zweiten Mal lese ich Deine Zeilen. Und auch die vom gestrigen Abend in Mannheim. So treffend, so schön, so traurig, so wahr, noch immer nicht verdaut – und doch erfüllt mit großem Stolz und der großen Hoffnung, es wieder erleben zu dürfen! Irgendwo, irgendwie, irgendwann!
ne, so schnell verdauen wir das nicht. aber die erinnerungen bleiben. bis zum nächsten mal :-)