Im ersten Teil der Serie über den Soundtrack meines Lebens beamten wir uns in das Jahr 1971 zurück und lernten, dass die Zeit nur vor dem Teufel halt macht. Als ich über Barry Ryans Homepage anfragte, ob ich ein Foto verwenden dürfe, war die Antwort ein Kommentar des Sängers unter meinem Artikel. Das ist natürlich großartig und eine große Ehre für mich, 40 Jahre danach.
Nun stellte sich die Frage, ob ich fürderhin chronologisch vorgehe, oder die einzelnen Songs oder Tracks oder Lieder oder Stücke – wie man es nimmt, je nach Lust und Laune vorstelle. Es scheint darauf hinaus zu laufen, in der Zeit umher zu springen; in diesem Falle in die Vergangenheit natürlich – wohin auch sonst.
Januar 2004 – Ich sitze im Flieger nach Thiruvananthapuram, früher Trivandrum und habe zwei Monate in einem fremden Land vor mir. Im Gepäck ein Reiseführer über Südindien, Neugierde und dazu ein wenig Angst. Als ich das Flughafengebäude verlasse, haut mir die Luftfeuchtigkeit ins Gesicht, tausende Motorrikschafahrer umzingeln mich, bieten mir eine Fahrt an. Ich laufe ein paar Meter, und verschnaufe, lasse die Wucht wirken. Dann verhandele ich mit einem Fahrer, der mich nach Varkala bringen soll. Der Preis schießt nach unten – im Nachhinein immer noch viel zu teuer obgleich für unsere Verhältnisse Kleinigkeiten und dann geht es los. Ich werfe meine Tasche auf die Bank, quetsche mich in das Gefährt und während wir über staubige Straßen rattern, beuge ich meinen Kopf und lasse die ersten Meter Indien an mir vorbei ziehen. Staubig rot die Straße, Kinderaugen leuchten wie nie zuvor gesehen und an der vorbeiziehenden Eisenbahn kleben Tausende zwischen den Waggons. Wenig später sitze ich unter einer Palme und schaue auf das Arabische Meer, mein Gepäck liegt in einer Hütte; Geckos und Spinnen groß wie die Handflächen eines ausgewachsenen Mannes begleiten mich. Zwei Monate bewege ich mich in einer Welt ausgesuchtester Schönheit inmitten der Verwesung – zwischen Eisvögel und Stromausfällen, zwischen Om, Shiva, Shanti und Morbus Recklinhausen, Kühen und Ganesh, Müll, Lärm, Gestank und den Herzen der Menschen, die ungläubig staunen, als ich ihnen erzähle, dass auch in Deutschland Menschen auf den Straßen erfrieren. Alles ist wertvoll für den, der nichts hat. Pfeffersträuche wachsen vor dem Fenster und jedes einzelne Pfefferkorn bedeutet mehr, als ein Supermarkt voller Industrielebensmittel in einem anderen Teil der Welt.
Eingefangen habe ich für mich die Eindrücke dieser Reise vor allem im Lied/Text Caleidoscope Heart, das ich vor ein paar Tage hier eingestellt hatte und dazu in einigen Fotos.
Ebenso beeindruckend wie die Bilder oder die Gerüche dringen die Töne zu dir. In Kochi lernte ich einen Spanier kennen, der hatte ein Aufnahmegerät dabei und die Geräuschkulisse mit nach Hause genommen. Dies alleine wäre schon ein großartiger Bestandteil des Soundtracks eines Lebens. Egal wo ich war, fast an jedem Tag erklang von Irgendwo das Hupen eines Tuk-Tuks, das Rattern eines Generators, Stimmengewirr und Musik. Eine Melodie brannte sich dabei in meinem Gehirn fest. Als ich nachfragte, erfuhr ich, dass es sich dabei um das Gayatri Mantra handelte, ein Inder war so freundlich, mir dieses Lied auf CD zu brennen; später erwarb ich noch eine Originalversion. Natürlich hatte ich zunächst keine Ahnung, wovon in den sich immer wiederholenden Versen die Rede war – dann begriff ich, dass von meiner Reise die Rede war; von all den Dingen, die mir widerfuhren, die Schönheit, die Grausamkeit, die Unsicherheit und die Stärke.
oṃ bhūr bhuvaḥ svaḥ
tát savitúr váreniyaṃ
bhárgo devásya dhīmahi
dhíyo yó naḥ pracodáyāt
Eine Übersetzung findet sich in der großen Enzyklopädie des Halbwissens, Wikipedia:
Om, wir meditieren über den Glanz des verehrungswürdigen Göttlichen,
den Urgrund der drei Welten, Erde, Luftraum und himmlische Regionen.
Möge das Höchste Göttliche uns erleuchten, auf dass wir die höchste Wahrheit erkennen.
Nun denn, möge jeder erkennen, was er erkennen möchte – für alle Zeit aber wird das Gayatri Mantra Bestandteil meines Lebens sein und mich an jene Tage erinnern, die mir mehr lehrten, als alle Jahre in Bildungsanstalten zusammen.
Hier der Originallink: http://youtu.be/nDnamSM3Z3s
Soundtrack meines Lebens; bislang erschienen:
1971 – Barry Ryan – Zeit macht nur vor dem Teufel halt
2004 – Gayatri Mantra
schöner text und wunderbare fotos!
Da kann ich mich der Pia nur anschließen.
Aber ich frage mich gerade die ganze Zeit was ein Pinguin auf einem Bahnsteig in Indien verloren hat (letztes Bild)…..
Ist mein Verdacht richtig, das es sich bei seinem weit aufgerissenen Schnabel gar um einen Mülleimer handeln soll und die allgemeine Wertschätzung für die Kuh mit einem recht funktionellem Verständnis der Antarktisbewohner einhergeht? ;-)
danke. der pinguin war tatsächlich ein mülleimer, einer der wenigen, die mir seinerzeit begegnet sind. das war eines der großen probleme, zumal das wasser in der regel für uns nicht trinkbar war. wer keine kleine filteranlage dabei hat, der muss sich plastikflaschen kaufen. und die liegen dann irgendwo rum. bei der masse an traveller sind das ganz schön viele.
Die Musik findet man an den ungewöhnlichsten Orten. Und die Musik begleitet einen zu den unbekannten Orten. Das ist zauberhaft & schön. Genau wie Deine wunderbare Serie. Genau wie Dein wunderbarer Text.
Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.
Sehr schön. Text, Fotos und Musik. Ich habe ja die Version von Deva Premal, die mich seit einigen Monaten begleitet. Gruß vom Kid
daneke nochmal; musik ist stets und immer dabei – manchmal haut sie dich um. die variante von deva premal kenne ich auch und sie gefällt mir; ein großartiges werk.
viele grüße – beve
das ist eine sehr schöne idee, diese blog-kategorie, also: die anlage einer kleinen serie. hm. womöglich merke ich mir das, ha.
genau, merke es dir – obgleich früher oder später der ein oder andere song erscheinen wird, vor dem dir graut .-)