Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

WM-Finale Japan – USA in Frankfurt

Nun also war es soweit, die tollste Frauen WM, besser Frauenfußball WM aller Zeiten neigte sich dem Ende entgegen. Drei Wochen lang wurde die Nation von 0 auf 100 in Sachen Frauenfußball getrimmt; manch eine der alten Streiterinnen geriet dabei in Vergessenheit, andere spielten sich ins Rampenlicht, allen voran die wohl (auch von mir) meist thematisierte und fotografierte Kickerin der letzten Tage, Hope Solo. Und nun: Vorhang auf für die letzte Schlacht. Die Fifa hatte mächtig aufgefahren; zusätzlich zu den vorhanden Aufbauten vor der Haupttribüne wurde nun auch eine Zelt-Lounge auf dem Trainingsplatz errichtet, tausende Mitarbeiter wuselten umeinand und als die Zuschauer auf das Gelände strömten, zeigte sich die Arena in einem buntem Gewand. Süßwarenverkauf, Stelzenläufer – alles was zum Fußball gehört, war aufgeboten.

Dank unserer Arbeitskarten, die uns während der WM den Zutritt zum Gelände auch an spielfreien Tagen ermöglichten, hatten Pia und ich Gelegenheit, nach der Partie zwischen Deutschland und Nigeria sowie dem Halbfinale zwischen Schweden und Japan nun auch dem Grande Finale beizuwohnen. Pünktlich zum Anpfiff betraten wir die ausverkaufte Arena und hielten uns zunächst am Rande der Ostkurve, Hope Solo begann jedoch im Tor auf der gegenüberliegenden Seite. Dennoch: Obgleich die USA als der erklärte Favorit in die Begegnung ging, hatte ich nichts dagegen, so Japan den Titel holen würde; ich war quasi für beide mit leichtem Ausschlag für Nippon.

Es zeigte sich schon ein rechter Kontrast zum vergangenen Freitag, als die Eintracht in der Trolli-Arena in Fürth gastierte – erstaunlich, dass dieses Fazit heuer zu ziehen ist. Noch vor wenigen Wochen hätte man die Kulisse in der Arena der Eintracht zugeordnet und das Szenario in Fürth eher dem Frauenfußball. So ändern sich die Zeiten.

Die Amerikanerinnen, ganz in weiß (bloß die Torfrau trug gelb), begannen wie die Feuerwehr und setzten die Japanerinnen (in blau) mächtig unter Druck. Angeführt von Abby Wambach flog Ball für Ball auf das Gehäuse von Ayumi Kaihori, die hielt, was zu halten war und nicht in die Ränge flog – es schien nur eine Frage der Zeit, bis die USA in Führung ging.

Ich holte meine Kamera hervor und begann zu knipsen, meine Sitznachbarin meinte daraufhin, dass auf der Haupttribüne die Bundeskanzlerin sitzen würde – und tatsächlich, durch das Tele erkannte ich sie. Neben Theo Zwanziger saß sie, dem Mann der noch im vorletzten Jahrtausend den Frauenfußball erfunden hatte. Es ist ganz witzig, die Ränge durch das Tele zu beobachten, auch wenn es keineswegs ein Profigerät ist. Aber es ist unseres. Und wir erkannten deutlich, was auch mit bloßem Auge zu sehen war:  Bunt gemischt hockten Japaner, Amerikaner und Sympathisanten jeglicher Couleur nebeneinander und warteten auf die LaOla, das Erlebnis oder auf Fußball. Weiter unten könnt ihr das Bild der Haupttribüne sehen – schaut mal genau hin, und sagt mir, wen ihr alles entdecken könnt. Auf Wunsch kann ich das Suchbild auch gerne vergrößern.

Auf dem Rasen dominierte die USA . Japan kam nicht dazu, das bekannte Kombinationsspiel aufzuziehen, kaum kontrollierten sie den Ball, da rollte auch schon die nächste Welle der Amerikanerinnen, deren Nummer 11, Alex Krieger, bis zum Sommer für den heimischen 1.FFC Frankfurt gespielt hatte. Krieger – welch ein Name für einen Fußballer oder besser für eine Fußballerin.

Nachdem wir eine Weile die Ränge beobachtet hatten, erkannten wir am Rande der Haupttribüne einige freie Plätze und wanderten schnurstracks dorthin – und von nun an verfolgten wir das Spiel nur wenige Meter von dem Rasen entfernt, auf dem die Eintracht noch vor wenigen Wochen dilletiert hatte. Glaubt mir, was wir heute sahen, war um Längen besser als alles, was wir im Jahr 2011 hier gesehen hatten. Auch weil nur wenige Reihen hinter uns das Team Schweden saß.

Japan, mit der bislang so starken Homare Sawa bekam bis zur Halbzeit kein Bein auf den Boden, fing sich aber auch keinen Treffer ein, Glück, eine sichere Torhüterin (wann konnte man dies in maskuliner Form zuletzt von der Eintracht sagen) und eine vielbeinige Abwehr mit der ballsicheren Aya Sawashima verhinderten einen Rückstand, über den sich bis zum Pausenpfiff der Schiedsrichterpolizistin Bibiana Steinhaus im roten Sweater niemand hätte beklagen können.

Nippon – USA, Nippon – USA hallte es auch nach dem Seitenwechsel lautstark von den Rängen. Nun spielte Hope Solo auf unserer Seite und ich knipste munter drauf los; viel beschäftigt war sie jedoch auch in den kommenden Minuten nicht, im Gegenteil: In der 69. Minute erzielte die zur Pause eingewechselte Alex Morgan die längst verdiente Führung der US-Amerikanerinnen. Doch wer geglaubt hatte, die Partie sei entschieden, wurde eines Besseren belehrt. Zäh und beständig kämpften sich die Japanerinnen ins Spiel zurück und wurden in der 81. Minute durch den Ausgleichstreffer von Aya Miyama belohnt. Verlängerung.

Hope Solo agierte weiterhin auf unserer Seite und sie erlebte mit uns kurz vor dem Seitenwechsel die erneute Führung ihres Teams; Abby Wambach hatte wie schon in den vergangenen Partien mit eisernem Willen getroffen. Das Verschnaufen in der Pause währte jedoch nur kurz, Frau Steinhaus trieb regelgerecht zum Weiterspielen an und mit jeder gespielten Minute schien der Titel für die USA greifbar nahe. In der 114. Spielminute wurde die auffällige Rapinoe ausgewechselt, in der 117. Spielminute lag bei den Anhängern der Amerikanerinnen blankes Entsetzen in der Mimik , als Frau Solo die Kugel tatsächlich zum zweiten Mal aus dem eigenen Netz holen musste. Wer sonst als Homare Sawa hatte den kaum noch für möglich gehaltenen Ausgleich erzielt. Wenige Sekunden vor Schluss zog Alex Morgan zielstrebig dem 3:2 entgegen, wurde knapp vor der Strafraumkante von Iwashimizu gelegt, die daraufhin mit Rot vom Platz musste. Der fällige Freistoß aber fand nicht den Weg ins Ziel und somit endete die Partie vorerst mit 2:2. Elfmeterschießen.

Zunächst schien sich die grausamste aller Entscheidungen beim Fußball, sieht man einmal vom Münzwurf ab, zu unserer Enttäuschung vor der Nordwestkurve abzuspielen, Jubel brandete auf der dortigen Tribüne auf, bis klar war: Es wird auf das Tor im Osten geschossen, direkt vor unseren Augen. Boxx lief an und Kaihori flog in die richtige Ecke, zog blitzschnell den Fuß nach oben und hielt das Ding, während Solo gegen den Schuss von Miyama machtlos war. Überhaupt war das Verhalten der amerikanischen Torhüterin bei Elfmetern interessant: Sie entschied sich schon in der Gewichtsverlagerung für eine Ecke; flog die Kugel dorthin, war sie schnell dort; zielte die Schützin jedoch in die andere Ecke, brauchte sie sich nicht zu werfen, sie hatte ohnehin keine Chance. Mit dieser Variante konnte sie auch die Elfmeter im Viertelfinale gegen Brasilien halten. Heute jedoch ward ihr kein Glück beschieden, obgleich sie ihr Team mit der Parade gegen Nagasato im Spiel hielt, nachdem Loyd den Ball in die Luft gejagt hatte. Da auch Heath an Kaihori scheiterte und Abby Wambach als einzige für die USA traf, während sich Samaguchi keine Blöße gab, lag der Ball für Kumagai parat. Trifft sie, ist das Spiel entschieden. Sie lief an, Solo flog in die richtige Ecke, hatte jedoch gegen den hoch geschossenen Ball keine Chance. Tor, Sieg und Titel für Japan, das nach Deutschland und Schweden nun auch den dritten Favoriten aus dem Turnier gekegelt hatte. Die Spielerinnen flitzen über den Rasen, während die Amerikanerinnen die Köpfe hängen ließen.

Emsig wurde die Bühne für die Siegerehrung aufgebaut, die von Damen erklommen wurde, die aussahen wie die Stewardessen einer königlichen Airline. Dann wurde die Prominenz aufs Spielfeld gebeten – Namen wurden keine genannt, doch allen war klar, dass neben Steffi Jones auch Fifa-Präsident Josef „Sepp“ Blatter zu dieser gehörte und so gellten lautstarke Pfiffe durchs weite Rund. Welch ein Armutszeugnis für den bescheidenen Mann, der die WM im Männerfußball für das Jahr 2022 ganz uneigennützig an die Fußballgroßmacht Katar vergeben hatte. Pfiffe gellten auch, als die nicht anwesende Marta mit dem bronzenen Ball für die drittbeste Torschützin geehrt wurde. Dies wiederum irritierte mich.

Beste Torhüterin wurde erwartungsgemäß Hope Solo; Homare Sawa aber kam aus den Ehrungen gar nicht mehr heraus. Erst marschierte sie nach vorne, um sich den Preis für das fairste Team abzuholen, dann den für die beste Torschützin, dann den für die beste Spielerin (vor Wambach und Solo)  und zu guter Letzt natürlich den World-Cup. Doch zuvor wurde unter großem Beifall der Verlierer der Partie geehrt; nach zwei Titeln wurde die USA erstmals Vizeweltmeister im Frauenfußball, eine tolle Leistung fürwahr.

Als die Japanerinnen den goldenen Pokal aus den Händen von Steffi Jones in Empfang nahmen, flogen aus Konfettikanonen Milliarden von goldenen Schnipsel in die Luft und die Mädels hüpften im Blitzlichtgewitter vor Freude auf und ab; dies hatten sie sich redlich verdient. Technisch ausgereift kam der Fußball daher, bissig und freundlich zugleich hatten sie sich in die Herzen der Zuschauer gespielt – und der Titel mag Balsam auf das durch den Tsunami gebeutelte Land sein, abgesehen vom Gegner gab es wohl niemand, der ihnen den Titel nicht gegönnt hätte.

Wir blieben noch eine ganze Weile und hörten Donnerschläge, die wir zunächst nicht genau zuordnen konnten. Der Videowürfel zeigte ein Feuerwerk und wir realisierten langsam, dass dieses Feuerwerk über dem Stadion gezündet wurde, die Zuschauer konnten ob des geschlossenen Daches den Zauber nur auf dem Videowürfel sehen. Toll. Ganz nebenbei sind brennende Leuchtmittel beim Herrenfußball Ausdruck von Randale und Gewalt; ganz offiziell gezündet jedoch ein Zeichen ausgelassener Freude. Nun denn, absurd ist vieles – schön bunt jedoch war der Abend und ob des Spiels dramatisch zugleich. Ein Erlebnis allemal und nach einem letzten Blick in die Arena wanderten wir ins Museum der Frankfurter Eintracht, um später dort noch ein Schöppchen zu trinken. Auf den Weltmeister, auf uns und auf das Museum, das uns die schöne Möglichkeit gegeben hat, hautnah bei der WM dabei zu sein. Danke dafür und Glückwunsch nach Japan.

4 Kommentare

  1. Schnellinger

    Klasse Bilder, Beve!
    Bei dem Feuerwerk bei geschlossenem Dach hab ich mich am Fernseher ja vor Lachen eingenässt und mich gefragt was man davon wohl im Stadion selber sieht. Am Bildschirm war es aber auch nur ein paar Sekunden zu sehen.
    Aber eigentlich hatte ich ja erwartet das es ein Innenraumfeuerwerk gibt und die Spezialisten dabei das überflüssigste Dach der Weltgeschichte gekonnt anflämmen ;-)

  2. Beve

    danke.

    bei mir hat es echt ne zeitlang gedauert, bis ich das geschlossene dach, den videowürfel und das feuerwerk gerafft habe. ich habe erst gedacht, die zeigen ein filmfeuerwerk. dann war klar, der kracht kommt von draußen. hab mir das dach angeguckt. dann hab ich gelacht. und an den bengalo von fürth gedacht :-)

  3. pia

    lediglich die farben des feuerwerks schimmerten etwas durchs dach. mittendrin und doch nicht dabei ;-)

    kleine korrektur:
    marta wurde als zweitbeste torschützin geehrt, zumindest hatte ich das so in erinnerung. erst wambach, dann marta und dann sawa.
    ich hab noch mal nachgeschaut, und dann gelesen, dass wambach und marta gleich viel tore (4) erzielt haben, marta aber wegen der anzahl der vorlagen besser platziert ist.

    alles in allem ein fußballreiches wochenende mit zweitligafußball und wm-finale :-)

  4. beve

    stimmt, marta wurde zweite – aus dem gleichen grund, weshalb thomas müller bei den männern erster wurde: mehr vorlagen.

    yep, da waren wir gut unterwegs :-)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

© 2024 Beves Welt

Theme von Anders NorénHoch ↑