Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Lotte Specht, eine Frankfurterin zwischen Kick und Kabarett

Am 16. Oktober 1911 erblickte die Metzgerstochter Lotte Specht im Frankfurter Stadtteil Eckenheim das Licht der Welt, aufgewachsen ist sie jedoch ein paar Kilometer entfernt im Gallus. Die Frankfurter Welt aber blickte erstmals auf sie, als Lotte am 29. Januar 1930 im Gasthaus Steinernes Haus den 1. Deutschen Damen Fußballclub gründete. Wohlwollend berichtete die Journalistin und spätere Pressereferentin der Stadt Frankfurt, Helli Knoll, in den Frankfurter Nachrichten über den ungewöhnlichen Verein, doch sie wusste auch: Wir sind uns aber darüber klar, daß es noch manchen Kampf kosten wird, bis auch dieser Sport für die Frau als allgemeingültig anerkannt wird. Wenige Wochen nach der Vereinsgründung aber berichtete immerhin das Illustrierte Blatt in einer großen Titelgeschichte über Lotte Specht und ihre Mitstreiterinnen, die auf der Seehofwiese in Sachsenhausen gegeneinander kickten; Lotte hatte es sogar mit Bild aufs Titelblatt geschafft, was ihrem Vater nicht ganz so recht war. So waren sie und ihre Mitspielerinnen, die sich nicht zuletzt über Annoncen in den Frankfurter Nachrichten rekrutierten, dem Gespött der Männerwelt ausgesetzt und auch so manche Frau soll sich über das Treiben der Fußballerinnen mokiert haben. Und natürlich war das Lottchen Gesprächsthema bei der Kundschaft in der elterlichen Metzgerei in der Hufnagelstraße 22.

Nach anderthalb Jahren endete das Vereinsleben der Kickerinnen, welches die Mannschaft bis nach Frankenthal zu einem Freundschaftsspiel geführt hatte. Frankfurter Frauenfußballmannschaften aber sollten erst wieder Ende der Sechziger Jahre in den Blickpunkt rücken. Auch die Mitspielerinnen des 1.DDFC trafen sich knapp vierzig Jahre nach Gründung wieder – und ließen natürlich die alten Zeiten erneut aufleben.

Lotte Specht besuchte nach der Volksschule auch die Handelsschule, um die Grundlagen für einen „bejerlichen Beruf“ zu schaffen. Doch es musste noch mehr in der Welt geben als eine Schreibmaschine und so absolvierte sie die Frankfurter Schauspielschule, wie mit ihr auch Liesel Christ oder Siegfried Lowitz. Das erste Engagement führte Lotte nach Ratibor – als muntere Naive agierte sie auf der Bühne. Anschließend zog es sie zum Kabarett nach Breslau, als Gage gab es immerhin 30 Deutsche Mark pro Abend. Nach Wanderjahren, die sie nach Dresden, Berlin oder Krefeld führten, zog es Lotte Specht erst wieder nach Ende des großen Krieges zurück in ihre nun zerstörte Heimat Frankfurt. Die Sehnsucht der Frankfurter nach unbeschwertem Lachen kam der Kabarettistin zu Gute, die nun mit Kollegen in der Kaiserstraße das erste Frankfurter Nachkriegskabarett mit dem passenden Namen: Die Unmöglichen betrieb.

Umtriebig blieb Lotte Zeit ihres Lebens, sie organisierte eine Gastspielbühne, in der mit anderen auch Hans-Joachim Kulenkampff mitwirkte, der ihr das ganze Leben über freundschaftlich verbunden blieb. Hausfrauen-Nachmittage oder Bunte Abende brachten ein wenig Glanz nicht nur in die Frankfurter Stuben. In Limburg trat das Gastspielensemble der Lotte Specht genau so auf wie in Schotten oder in Bieber. Es präsentierte bunte Programme, auch Modenschauen, die durch solistische Einlagen ergänzt wurden und so manches Mal tauchte Wolf Schmitt alias Babba Hesselbach zur Freude der Anwesenden aus dem Nichts auf der Bühne auf. Und stets berichteten die Lokalzeitungen wohlwollend über die Veranstaltungen.

Mit Olga Tschechowa konnte Lotte Specht zu Beginn der Fünfziger Jahre einen ganz großen Namen für die Hausfrauen-Nachmittage verpflichten. Verliefen die ersten Auftritte noch verheißungsvoll, so trafen sich Lotte und die Tschechowa später vor Gericht wieder; statt über Schönheitspflege im Allgemeinen referierte die große Akteurin über ihr eigenes Buch im Speziellen. Lotte Specht kam das Verfahren letztlich teuer zu stehen – doch statt zu wehklagen handelte sie und gründete 1955 die erste Frankfurter Mundartbühne. In der Gaststätte Heymann im Lokalbahnhof startete sie am 1.Juni 1955 mit der Lokalposse „Verspekuliert“ von Adolf Stoltze. Auch gehörte der Sketch „Die unmögliche Situation“ zum Premierenprogramm, das Publikum sah Lotte Specht in beiden Stücken in der Hauptrolle. Und fühlte sich auch sonst recht wohl; während der Darbietungen gab es Apfelwein und Handkäs mit Musik.

Ein fester Spielort war der Bühne jedoch nicht beschieden, bereits ein Jahr später agierte die Mundartbühne im Bornheimer Restaurant Weingärtner – und nach fünf Jahren war ganz Schluss mit dem Mundarttheater – doch wie beim Frauenfußball war Lotte Specht auch hier ihrer Zeit weit voraus. Erst 1971 gründete Liesel Christ das Frankfurter Volkstheater, welches bis heute mit großem Erfolg Frankfurter Mundartstücke aufführt.

Lotte Specht wechselte ins „bürgerliche Fach“ und arbeitete fortan erst bei der Polizei, dann beim Sozialamt als Sekretärin. Doch die Unterhaltungskunst blieb ihre zweite Heimat. Sie trat in der Frankfurter Justizanstalt (zu der sie erst kein Einlass finden sollte) genau so auf, wie bei bunten Abenden in Altersheimen. Zudem veröffentlichte sie das Büchlein „Lache mit Lotte“. Als sie nach ihrer Pensionierung die Winter auf Mallorca verbrachte, war sie nicht nur beim Radiosender Aleman ein gern gesehener Gast. Im Auftrag der Reiseunternehmen unterhielt sie die Urlauber mit ihren Parodien und Dialekten. Auch in Frankfurt geriet sie keineswegs in Vergessenheit. Zu jedem runden Geburtstag gab es in den Frankfurter Zeitungen einen großen Bericht und auch der prosperierende Frauenfußball erinnerte sich an die frühen Tage. So war Lotte Specht sowohl beim Hessischen Fernsehen als auch beim ZDF zu Gast – und auch die Frauen-Nationalmannschaft wusste ob der Bedeutung; sie schickte 2001 sogar einen Brief an Lotte und legte ein Foto bei, das von allen Spielerinnen unterschrieben war. Ein ganz besonderer Dank kam von Deutschlands Rekord-Internationalen Birgit Prinz.

Bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 2002 lebte Lotte Specht alleine in ihrer Wohnung im Frankfurter Westend, getreu ihrem Motto „Schee bin ich net mehr, aber noch da.“ Nachdem sie Anfang Februar über eine Magenverstimmung geklagt hatte und ins Elisabethen-Krankenhaus eingeliefert worden war, schien es ihr wieder besser zu gehen. Doch am Faschingssonntag 2002 ist Lotte Specht im Alter von 90 Jahren friedlich eingeschlafen und am Dienstag darauf auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beigesetzt worden.

Dieses Jahr hätte Lotte Specht ihren einhundertsten Geburtstag gefeiert, im Jahr der Frauenfußball Weltmeisterschaft mit dem Finale in der Frankfurter Arena – und sie wäre sicherlich stolz gewesen, wenn sie gesehen hätte, was aus den Anfängen auf der Seehofwiese doch noch alles geworden ist.

Mehr zu Lotte Specht, dem Frauenfußball in Frankfurt im Allgemeinen und dem Gallus im Besonderen zeigt die vom Eintracht Frankfurt Museum konzipierte und vom Sportkreis Frankfurt erweiterte Ausstellung 20 Köpfe 11 Geschichten, die derzeit die Runde macht und vom 02. Mai bis einschließlich 15. Mai in der Friedenskirche in der Frankenallee 150 in Frankfurt zu sehen sein wird. Bonusmaterial zur Ausstellung in der Friedenskirche sind vielfältige Informationen zu den Franken 66, die Ende der 60er Jahre die Ideen der Lotte Specht aufgreifen und eine Frauenfußballmanschaft aufs Feld schicken.

Abendveranstaltung

Mi, 4. Mai 2011, 19.00 Uhr

Lotte Specht und Franken 66Kicken, Kabarett und Karneval

Ein Abend mit Bildern, Filmen und Geschichten rund um die Fußballpionierinnen des Gallus –

es erzählen Walter Specht, Neffe von Lotte Specht, Heidi Herbst und Mitspielerinnen des Frauenteams der Franken 66.

Die Fotos entstammen dem Privatalbum von Lotte Specht.

8 Kommentare

  1. Schnellinger

    Klasse Artikel Beve, viel gelernt!
    Gab es damals im Frauenfußball noch Kopfbedeckungszwang oder wie würdest du dieses Bild deuten?

  2. Beve

    damals gab es in deutschland im grunde noch gar keinen frauenfußball, der 1.ddfc dürfte pionierarbeit geleistet haben. die baskenmützen trugen die frauen nach angaben von lotte in einem interview freiwillig zum schutz gegen kopfbälle. der zwang begann erst, nachdem der dfb das verbot des frauenfußballs zu beginn der 70er aufgehoben hatte. verkürzte spielzeiten, kleinere bälle. als die frauen dann auch noch einen brustpanzer tragen sollten, weigerten sie sich vehement.

  3. rotundschwarz

    Ich kannte Lotte Specht bisher nicht und freu mich sehr, dass ich sie jetzt hier kennen gelernt hab. Schon erstaunlich, dass die Geschichte des Frauenfußballs so weit zurückreicht – bin mir sicher, dass ihr/das Mueseums-Team da im Vor- und Umfeld der Frauen-WM noch viele weitere spannende Dinge ausgraben werdet.

    Aber auch mal abgesehen vom Fußball: Was für eine beeindruckende, starke und ungewöhnliche Frau Lotte gewesen sein muss. Ihr Weg entlang der Zeitgeschichte, Stadtgeschichte. Eine ganze Welt. Fußballspielende Metzgerstochter, bodenständige Frauenrechtlerin, Schauspielerin, Kabarettistin. Liesel Christ, Kuli, Babba Hesselbach. Hausfrauennachmittage und Kunst und Kultur im Hinterstübchen von Wirtshäusern, die mal Zentren städtischen und sozialen Lebens waren.

    Mir fallen da eine ganze Reihe von Frauen ein, die – jede auf ihre Weise – ungefähr zur gleichen Zeit, Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts, jede auf ihre Weise , an unterschiedlichen Orten der Welt, in ganz unterschiedlichen Segmenten Wege gesucht und gebahnt und mitgestaltet haben. Sehr unterschiedlich und einander im Verlauf der Biografie doch ähnlich. Vor dem Hintergrund des Großstadtlebens, mit seinen Chancen, aber auch mit seinen Verlusten. Pioniere. Mutig und eigenwillig. Da müsst mer fast mal was zu schreiben… ,-)

    „Schee bin ich net mehr, aber noch da.“ – Wunderbar. Danke!!

  4. Fritsch

    Danke für diese grandiose Geschichte. Und danke, daß ich Lotte kennen lernen durfte. Großes Kino!

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

  5. Kid

    Filmen wird doch das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen, nicht? Gut, dann verleihe ich – und will es ganz sicher nicht zurück – hiermit diesem Blogeintrag ebenfalls dieses Prädikat. Weil er das ist: besonders wertvoll. Danke.

    Gruß vom Kid

  6. Beve

    Danke fürs Feedback; es ist schon eine interessante Geschichte, die der Lotte Specht. In der Ausstellung in der Friendenskirche findet ihr noch mehr Infos über sie; vor allem über ihre Zeit im Gallus.

    Kerstin, nur zu mit Biographien spannender Menschen :-)

    viele Grüße

    Beve

  7. Bernemer Buub

    Guude Morsche,
    hab neulich erst de Name uffgeschnappt. Ebe Gegoogelt und uff den Blog gestosse. Ich kann misch meine Vorredner nur aaschliesse. Was e Lebe.
    Einmalisch! Danke für dafür. E Denkmal fer die „Flotte Lotte“!!
    Schad das die Ausstellung schon vorbei is. Warum habbter des net iwwer die WM weiderlaafelosse?
    Noja, als weider…

  8. Beve

    Die Ausstellung ist bis zum Ende der WM in der Paulskirche zu sehen, man muss die Treppe nach unten gehen – allerdings ohne den spezifischen Gallusbezug; d.h auch der Bereich zu Lotte Specht ist geringer.

    Viele Grüße

    Beve

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