Eben noch hockten wir staunend auf dem Opernhaus in Oslo, jetzt klackern wir mit unseren Koffern schon wieder zum Bahnhof, nachdem wir in einem kleinen Café in Tøyen gefrühstückt hatten. Pia hat wirklich ein Händchen dafür, solche Orte zu finden. Unser Zug ist pünktlich und recht leer, so setzen wir uns langsam in Bewegung und gleiten nach Norwegens Süden. In Tønsberg müssen wir aussteigen; die letzten Kilometer bis zur Insel wird uns hoffentlich ein Bus bringen.
In Tønsberg werden wir auch ausgespuckt, die Bahn fährt weiter nach Skien, dort, wo ich im vergangenen Jahr ein paar Tage verbracht habe. Auf einem Hügel thront ein Festungsturm in den klarblauen Himmel, ein paar Meter dahinter winkt die Bushaltestelle. Wir kaufen uns zwei Tickets über die App, die uns auch schon hierher gebracht hat, warten ein paar Minuten, und schon geht die Reise los. Weit ist es nicht. Wir rollen über die einzige Brücke, die Nøtterøy mit dem Festland verbindet, drücken kurz vor unserer Haltestelle den Stop-Button und sind quasi vor unserer Haustür. Auto um Auto zieht Richtung Inselsüden, viele Teslas sind unterwegs – leise vom Motor, aber recht laut vom Abrollgeräusch der Reifen. Wir tippen auf eine Art Spikes, die wohl viele wegen der Wetterbedingungen aufgezogen haben.
Da wir gut in der Zeit sind, können wir in unserer Unterkunft – eine Einliegerwohnung mit großer Küche und noch größerem Bad im Souterrain eines freistehenden Hauses, in dessen Garten die Hühner picken – unser Gepäck lassen. Inge, der mit Kopfhörern auf den Ohren im Hof arbeitet, sieht aus, wie man heute einen Norweger malen würde, und ist zudem recht freundlich. Im Hof parkt ein Volvo – natürlich ein Elektroauto. Wir lassen die Koffer in der Wohnung stehen und wandern neben der Straße in Richtung eines Supermarktes. Der Versuch, am nahen Fjord entlang zu laufen, schlägt mangels Weges fehl. Weiterhin zieht Auto um Auto an uns vorbei. Immerhin finden wir dank der Komoot-App – vorbei an ein paar Rehen – einen Weg ans Wasser: ein durchaus erhebender Moment der Stille.
Wir decken uns im Supermarkt mit einigen wichtigen Dingen ein und wandern zurück in die Unterkunft, die wir nun näher inspizieren. Diesmal haben wir die Räume für uns alleine, Ida und Inge wohnen mit ihren Kindern im Haus selbst. Wir gönnen uns Tee und Kaffee und brechen dann zu Fuß auf Richtung Kulturhus Nøtterøy. Hier in der Gegend scheint der Wohlstand zu Hause zu sein. Die Schindeln der Dächer glänzen speckig in der Sonne, die Häuser sind geräumig, die Autos neu, und zuweilen liegt eine Yacht vor dem Haus. Wir wandern zum Kirchturm und spazieren über den Friedhof zum Kulturhus, das just in diesem Moment seine Pforten öffnet. Ähnlich wie in Skien gibt es hier ein Foyer, in dem auch eine kleine Bühne steht. Links und rechts führen Türen in den Hauptsaal. Wir finden einen Sitzplatz und harren der Dinge und Menschen, die da kommen werden. Das Publikum ist, wie schon in Skien, teils sehr alt – ein wenig verwunderlich. Zwar weilt die Protagonistin des Abends auch schon ein paar Jahre auf diesem Planeten, aber die Musik klingt ausgefeilt und frisch und könnte eine ähnliche Zielgruppe wie beispielsweise Anna Ternheim ansprechen – doch hier senken wir den Altersdurchschnitt, im Gegensatz zu sonst. Sie hätte auch ein jüngeres Publikum verdient.
Gegen viertel vor sieben betreten wir den in blaues Licht getauchten Konzertsaal, steigen die Stufen hinunter bis in Reihe zwei – fantastische Plätze. Auf der Bühne stehen ein Keyboard, ein Mikrofonständer und eine Flasche Wasser. Dazu ein Barhocker – das war’s. Ganz ausverkauft ist es nicht, es gibt noch einige handverlesene freie Plätze, und um kurz nach sieben wird es ruhig. Dann kommt erst Bengt auf die Bühne, wenig später Kari. Leider verstehen wir ihre norwegische Ansprache nicht, aber wir verstehen die Musik – die trotz fehlender Band, zu der auch Bengt Hanssen gehört, auf der gleichen Stufe wie die Auftritte mit mehreren Musikern steht. Der Auftritt ist ein Gesamtkunstwerk, optisch wie klanglich eine Traumreise. Lustig ist, dass Bengt seine Turnschuhe ausgezogen hat, die neben ihm auf der Bühne stehen, und sich völlig in der Musik verliert. Kari Bremnes hat ihr Publikum entspannt im Griff – nur meinen Lieblingssong „Glem Ikkje“ spielt sie auch heute nicht. Dafür aber zwei berührende Zugaben, dann ist Feierabend – sogar Pia ist begeistert. Anschließend wandern wir versunken durch die Dämmerung über Kirche und Friedhof zurück.
Am nächsten Morgen nehmen wir den Bus nach Tønsberg und frühstücken in einem Café mit Fensterblick, im Ohr die Musik von Frau Bremnes. Dann treiben wir durch die Gassen, landen am Wasser und lassen uns die Sonne auf die Nase scheinen. Tønsberg macht einen entspannten Eindruck, eine unaufgeregte Mischung aus Alt und Neu. Wir inspizieren Wikingerboot-Nachbauten – und auch hier hat die einzige Krabbenbrötchenbude geschlossen. Dafür wandern wir bis hoch zur einstigen Kirche, deren ruinöse Steine vor uns liegen – nebenan wacht der Turm über die Stadt. Auf dem späten Rückweg gelingt es uns, einen Weg am Wasser zu entdecken, der uns recht weit bis zum Hafen ins Innere von Nøtterøy führt. Kaum jemand ist hier unterwegs, Wasserstille, Ruhe, zu sich kommen.
Eben erst gelandet, war schon wieder die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen. Zuerst Abschied von Nøtterøy, dann von Tønsberg – als uns die Bahn, die uns so brav hierhergebracht hatte, auch wieder nach Oslo mitnimmt. Diesmal fahren wir bis zum Flughafen durch, schieben uns durch die Sicherheitskontrolle, die bei mir erst aufhört zu zicken, als meine kleine Ankerbox auf Sprengstoff untersucht wird und meine vergessene Wasserflasche im Müll landet.
Und so heben wir pünktlich ab, schweben über Dänemark nach Deutschland, nach Frankfurt, freuen uns, dass überhaupt eine S-Bahn kommt, und schieben uns gemächlich zur Konsti. Dort springen wir in den 30er Bus, den wir an der FH verlassen. Montags treffen sich immer einige Freunde von uns an einer Bank im Grünen, und wir klackern mit unseren Koffern dazu. Gude Frankfurt. Aber ich bin mir sicher, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir Norwegen besucht haben. Und nicht das letzte Konzert von Kari Bremnes für mich. Wo auch immer.
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