Wie immer, die Zeit vergeht wie im Flug. Kaum ist man auf irgendeinem Hinweg, geht’s schon wieder zurück. Wohl denjenigen, die noch in der Lage sind, sich zu erinnern. Auch das ist nicht selbstverständlich und schon gar nicht für immer. Nachdem ich in den vergangenen Wochen schon einige Highlights erleben durfte – und mich in Berlin (die Spurensuche könnt ihr hier und hier nachlesen) bei den Godfathers, in Köln (Heather Nova im Gloria und dank der Bahn mit dem Taxi zurück) herumgetrieben habe und zudem Tocotronic in Wiesbaden und die Traitrs im Nachtleben sah – ging es jetzt zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit nach Norwegen.

Der Anlass war eigentlich, wie schon im November, ein Konzert von Kari Bremnes. War ich damals in Skien und lernte einiges über Henrik Ibsen, der dort geboren wurde, so standen nun zwei Nächte in Oslo an, um dann weiter nach Tønsberg oder besser noch auf die Insel Nøtterøy zu reisen. In Skien trat Kari mit Band auf, in Nøtterøy sollte sie als Duo mit Bengt Hanssen an den Keyboards konzertieren. Diesmal kam Pia sogar mit. Ich konnte ihr die Reise mit dem Auftritt von Ist Ist schmackhaft machen, einer Postpunk-Band aus Greater Manchester, die am Abend unserer Ankunft im John Dee in Oslo spielen sollte.

Donnerstags ging’s los: Die Bahn kam pünktlich, die S-Bahn auch, und in Erwartung eines warmen Tages – sowohl in Frankfurt als auch in Norwegen – schwebten wir in luftiger Höhe an Sylt vorbei und landeten wohlbehalten am Flughafen Oslo-Gardermoen. Wenig später saßen wir in der Bahn Richtung Oslo Sentralstasjon, um von dort mit unseren Rollkoffern nur wenige Hundert Meter zu unserer Unterkunft bei Anna zu rattern. Wir passieren die Akerselva über die Vaterlands Bro und landen nach ein paar Schritten in der Breigata. Mittlerweile entscheiden wir uns immer öfter für AirBnB, und meist wohnt jemand in der Wohnung, in der wir uns für ein paar Tage einmieten – so auch hier, im Stadtviertel Grønland, das noch immer ein Spot für Einwanderer ist. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis auch hier die Anwohner vertrieben und die Gegend vollständig gentrifiziert wird.

Die Stadt hat sich in den vergangenen Jahren mächtig verändert. Gigantische Bauten sind dazugekommen, Glas spiegelt sich in Glas. Was geblieben ist, ist Möwengeschrei. Wir schlendern nach dem Check-in in Richtung Munch Museum am Hafen, einer der neuen Bauten. Nebenan schiebt sich der imposante Opernbau sachte in die Höhe, glattflächig einem Eisberg nachempfunden. Man muss aufpassen, trotz der vermeintlichen Glätte beim Hinauflaufen nicht umzuknicken. Zu unseren Füßen liegt Oslo, im Wasser ein gläsernes Kunstwerk. Die Sonne scheint brav, kein Wölkchen trübt den stahlblauen Himmel, und dann tackert unvermittelt eine Ramme in brüllender Lautstärke Löcher in die Erde, es müsste in Frankfjord noch zu høren gewesen sein. Wir durchqueren den Bahnhof, wandern am Flüsschen Akerselva entlang Richtung Grünerløkka, einem Stadtteil, in dem die Gentrifizierung nahezu abgeschlossen scheint. Linker Hand eine Grafitti-übersähte Kulturfabrik, leider hat das Café am Ufer noch geschlossen. Vielleicht ist es der erste sonnige Tag des Jahres, jedenfalls sitzen an den sonnigen Plätzen die Menschen an der belebten Markveien schon nachmittags bei einem Glas Bier und lassen es sich gut gehen. Hie und da strahlt ein Mural von einer Häuserwand – es ist nett hier. Für den gefüllten Geldbeutel noch netter. Weiter geht’s Richtung Tøyen, hier ist es auch nett, vielleicht ein bisschen abgeschabter. Jeder zweite Laden ist jetzt ein Frisør. Für Pensionisten gibt’s den Haarschnitt ein bisschen günstiger. Bei einem indischen Schnellrestaurant bei uns um die Ecke holen wir zwei Currys zu überraschend günstigen Preisen. Hier geht’s zackzack, die einen warten aufs Essen, die anderen auf die Bestellaufgabe – ein Geschnatter, ein Stimmengewirr, das pralle Leben im Schnelldurchlauf.

Später machen wir uns nochmal auf Richtung des John Dee, einem Club in der City, zum Auftritt von Ist Ist. Pünktlich um acht Uhr beginnt wortlos die Vorband, die aus Norwegen stammt. Monotoner Postpunk, nicht wirklich bemerkenswert, aber zumindest nicht schlecht. Der Laden füllt sich nur langsam, doch mit der Zeit kommen doch noch ein paar Leute. Ich spaziere in die erste Reihe, lehne mich ans Geländer, und wenig später betreten Ist Ist die Bühne. Ich glaube, „Stamp You Out“ heisst der erste Song, später dann „Lost My Shadow“. Dass die Jungs Joy Division mögen, ist unüberhörbar, der Sound ist angenehm, das Konzert macht Spaß – bis sich natürlich irgendjemand dazwischenquetscht. Ich hasse Berührungen von Fremden in solchen Zusammenhängen, vor allem, wenn sonst eigentlich genügend Raum ist. Und ich mag es nicht, wenn ich wegen dieser Berührungen von der Musik abgelenkt werde. Dann denke ich permanent: „Du Arsch, verpiss dich!“ und gehe ich mir selbst auf die Nerven, weil ich nicht anders kann.

Später gehe ich hinter zu Pia, da ist die Sicht auch prima und dazu genügend Raum, eine Katze zu schwingen. Wasser gibt´s umsonst aus Krügen , ein feiner Zug der Veranstalter. In Deutschland wird ein Riesenaufstand ums „stilles Wasser“ gemacht, als wäre es nicht genau das, was aus dem Hahn kommt, nur ein bisschen abgestandener. Nach „You’re Mine“ war dann überraschend Schluss, innerhalb von Sekunden ging das Licht an und die Musik wieder aus – keine Zugabe. Aber es war trotzdem gut.

Der erste Weg am folgenden Morgen führte uns über die Karl Johanns Gata in Richtung des Stadtschlosses und von dort runter zum Hafen. Leider war die Fähre nach Bygdøy im Tagesticket nicht enthalten, so tuckerten wir mit dem Bus auf die Museumsinsel und setzten uns eine zeitlang auf die Holzplanken am Fjord und ließen uns die Sonne auf die Nase scheinen.

Hier unter stehen sich das Fram-Museum und das Kon Tiki-Museum direkt gegenüber. Thor Heyerdahls Kon Tiki Geschichte kannte ich als Kind in- und auswendig, mein Vater, der sich heute wohl nicht mehr daran erinnern kann, hatte wenig Bücher – aber Kon Tiki hatte er mir schon früh  vererbt. Die Geschichte der sechs Männer – und einer wichtigen Frau (Gerd Vold Hurum) im Hintergrund, die erst spät Erwähnung fand – die gegen alle wissenschaftliche Theorie beweisen wollten, dass Polynesien theoretisch auch von Südamerika aus  hätte angefahren und besiedelt werden können. Zu diesem Zweck bauten sie ein Floß aus Balsaholz und schipperten damit innerhalb von 101 Tagen von Peru Richtung Tahiti – und erbrachten den beeindruckenden Beweis. Besonders faszinierend fand ich damals, dass fliegende Fische an Deck geflogen sind, dort liegen blieben und somit während der Überfahrt ohne Anstrengung aufgehoben und gebraten werden konnten. Ein Papagei war auch dabei. Zumindest die ersten 60 Tage. Jetzt stehe ich vor der Kon Tiki im Museum und sehe mich als Kind mit dem Buch in der Hand – braungebrannt mit zotteligem Bart und langen Haaren, in jeder Hand einen fliegenden Fisch. Auch Ra II ist ausgestellt, aber das fand ich damals nicht so spannend.

Nach einem Abstecher in den Vigelandpark mit den berühmten Skulpturen zieht es uns in die Höhe – wir nehmen die U-Bahn in Richtung Holmenkollen und bemerken zum einen eine fantastische Umgebung und zum anderen haufenweise Rich Kids, die in die umliegenden Villen fahren. So kommt eins zum anderen, zwischendrin ein paar verdreckte Mountainbiker, die ihre Räder auf den Hinterreifen gekonnt durch die Bahn navigieren. Angekommen in lichter Höhe fallen als erstes die neuen Wohnungen mit Blick auf die U-Bahn Station Holmenkollen auf. Von dort sind es nur ein paar Schritte über den Hügel – und dann zeigt sie sich, die vielleicht berühmteste Sprungschanze der Welt. Metallisch glänzend zieht sie sich in die Höhe, wagemutig die Skispringer im Winter. Jetzt liegt im Auslaufbereich sogar noch ein bisschen Schnee – und wir klettern die steilen Stufen im Zuschauerbereich hinauf bis zu den olympischen Ringen und noch ein Stück höher. Auf halber Höhe ist ein Café und ein Museum – wie lassen das Museum links liegen, gönnen uns einen Milchkaffee und lassen den Blick über Oslo und die angrenzenden Hügeln schweifen. Ein klein bisschen magisch ist der Ort hier schon. Als wir uns nach untern hangeln, sehen wir gegenüber am Waldrand einen überlebensgroßen Troll.

Die Bahn bringt uns runter Richtung Rathaus. Wir schlendern am Hafen entlang und wundern uns, dass kein einziges Krabbenbrötchen zum Kauf angeboten wird. So gehts es wieder zum Inder in Grønland, holen uns  zwei Curries, essen bei uns zuhause und brechen noch einmal auf, um uns mit David zu treffen. der seit Jahren in Oslo lebt und ganz genau weiß, was in der Stadt so passiert. Im Bohemen, einem Fußballpub voller Fanschals der verschiedensten Teams treffen wir uns, trinken ein Bier (für mich alkoholfrei) und verschwätzen den Abend. David begrüßt alle naslang einen Bekannten und auf einem der Bildschirme entdecken wir sogar einen Bericht über Eintracht Frankfurt. Dann gehts mit der Bahn Richtung Breigata – und schon liegen wir in den Betten zur letzten Nacht in Norwegens Hauptstadt. Morgen gehts mit der Bahn weiter nach Tønsberg. Davon erzählt dann der zweite Teil des Reiseberichtes.