Der Anlass war ein trauriger, F’s Mutter war gestorben und ich wollte der Beerdigung auf dem Tübinger Bergfriedhof beiwohnen – die allerdings für Montagmorgen um 11:00 Uhr angesetzt war. Von daher buchte ich mir über Airbnb ein Zimmer für eine Nacht etwas außerhalb der Altstadt und plante meine Fahrt mit dem 49-Euro-Ticket. Die jeweiligen Anschlüsse sollten eigentlich zu schaffen sein – aber ich war mit der Deutschen Bahn unterwegs – von daher ist es ratsam, sich an das alte Motto von Dante Alighieri aus der Göttlichen Komödie zu halten: „Tu, der du eintrittst, alle Hoffnung ab“.

Sonntag: Die Straßenbahn kam pünktlich und so rollte ich über die Konsti durchs Bahnhofsviertel bis zur Münchner Straße, um von dort die paar Meter zum Bahnhof zu marschieren. Meine Bahn stand schon parat, ich enterte einen Wagen, sicherte mir einen Fensterplatz, setzte mir die Kopfhörer mit Noisecancelling auf die Ohren und wartete auf die Abfahrt, die pünktlich und reibungslos von statten ging. The Iron Roses sangen: The only time you have is now.

In der App wurde mir angezeigt, dass der Anschlusszug von Mannheim nach Heilbronn gut zu erreichen sei und so lehnte ich mich zurück, blickte aus dem Fenster und beobachtete das Treiben an den Gleisen. Bis ich wenige Meter vor Mannheim realisierte, dass die Verbindung von Mannheim nach Heilbronn, die eben noch justintime gemeldet wurde, ausfällt. Einige Minuten später wurde es zur Gewissheit: Der Zug wurde kommentarlos gestrichen. Hier stand ich nun, ich armer Tor – immerhin gewieft genug, um mir online Alternativen zu suchen. Und so änderte ich kurzerhand die Route. Statt nach Heilbronn ging es nun nach Bruchsal, von dort nach Stuttgart und über Stuttgart nach Tübingen. So Gott, resp. die Bahn will. Und tatsächlich, es sollte klappen: im End war ich zu der Zeit in Tübingen, die mir ursprünglich bei Nutzung der anderen Strecke avisiert wurde. Aber es ist schon nervenaufreibend und für jemand, der weniger netzaffin ist als ich, ein echtes Problem. Mit einem überraschenden Bahnsteigwechsel muss man zudem auch immer rechnen. Und es gibt fürwahr keinen größeren Gegensatz auf Erden, als das Frankfurter Bahnhofsviertel und der Blick auf die Tübinger Neckarfront. Im End würde Frankfurt ein bisschen mehr Tübingen gut tun und vice versa.

Das Lustigste, das ich in diesem Zusammenhang sah, war ein Plakat im Schaufenster eines progressiven Spätis: Lasst uns laut, bunt und stolz auf die Straße gehen – aber bitte nicht vor dem Laden aufhalten. RUHESTÖRUNG.

Jo, geht mal schön zum Nachbarn. Und seid dort laut, bunt und stolz.

F. holte mich ab und fuhr mich zu meiner Unterkunft und machte dabei noch einen Schlenker ins Grüne – wobei die Straße tatsächlich über Landschaft bis in die Stadt führt. Meine Gastgeberin war schon vor Ort, bot mir sogar eine kleine Einlieger-Wohnung für die Nacht an, die derzeit nicht vermietet war und ich warf meine Habseligkeiten auf die Matratze und wollte mich wieder auf die Socken machen. Das Angebot, ein Fahrrad zu leihen nahm ich dankend an – doch soweit sollte es dann doch nicht kommen. Just als ich los wollte, setzte der Regen ein. Schweren Herzens ließ ich das Rad in der Garage, ließ meinen kleinen, schwarzen Regenschirm aufschnappen und spazierte los. Es wurde ungemütlich, gut, dass ein Kleinbus der Linie 6 kam, der mich bis an den Bahnhof brachte. Von dort wanderte ich bedröppelt durch Tübingens schöne Gassen, blickte auf Neckar und den Hölderlinturm, spazierte über den Markt und stellte fest, dass jeder, aber wirklich jeder Literat Deutschlands entweder hier geboren oder gestorben ist – oder zumindest wie ich ein Eis gegessen hat. Die heutige Generation diskutiert entweder in den sozialen Medien – oder wie hier vor Ort – an der Häuserwand.

Es regnete unverdrossen, ab und an wehte mir der Wind beinahe den Schirm aus der Hand, während ich mich an historischen Gebäuden, Schmucklädchen und Buchhandlungen vorbei hangelte, eine Currywurst zu mir nahm, um nach all den Eindrücken mit dem Bus Richtung Unterkunft zu fahren. Das mehrsitzige Uber, in das ich nicht einstieg, stellte sich als Ersatzbus heraus, der ohne mich losfuhr – und somit hatte ich noch eine halbe Stunde Regenzeit, um den nächsten Bus zu nehmen. Folglich drehte ich noch ein Ründchen und nahm dann den 6er Bus, den ich rechtzeitig verließ, um ein paar hundert Meter am Campingplatz vorbei nach „Hause“ zu laufen. Unten am Neckar war ein Volksfest in vollem Gang, die Stimme des Anheizers drang wie die Bässe durch mein Fenster.

Ich war ganz schön groggy, ruhte mich ein wenig aus, bis mich F. noch einmal Richtung Stadt mitnahm. Großes Kirchengeläut zog ihn in eine Kirche, ich drehte meine Runden, sah im Straßenfernseher Englands Last-Minute-Ausgleich gegen die Slowakei und wanderte schlagkaputt über Klosterberg und Neckarhalde Richtung Heimat. Das Volksfest tobte immer noch, ich schloss die Fenster und guckte Fußball. Spanien schickte Georgien humorlos trotz Rückstand mit 4:1 nach Hause, auch die Engländer hatten ihr Spiel noch gedreht.

Früh am Morgen brach ich samt Rucksack auf in den Tag, wanderte hinter dem Campingplatz an den Neckar und spazierte von dort in die Stadt. Direkt neben einer vielbefahrenen Brücke hatte die Stadt einen Spielplatz für die lieben Kleinen eingerichtet, wenige Meter dahinter führte eine Brücke auf die Tübinger Neckarinsel. Die Stocherkähne lagen ordentlich am Ufer, der Himmel war bedeckt aber es regnete nicht. Ich frühstückte in einem Café in der Altstadt, wobei es wenig zu mäkeln gab, außer dass selbst in studentisch wirkenden Cafés die Preise genau jenes nicht sind.

Später holte mich F. an der blauen Brücke ab und mit mehreren Mitfahrer:innen rollten wir hoch zum Bergfriedhof. Zu Melodien von Pat Metheny und Bryan Adams nahmen wir Abschieds von F’s Mutter, trotteten dem Trauerzug hinterher und sahen beklommen zu, wie der Sarg in die Erde glitt, die Sonne schien dazu, als könnte sie kein Wässerchen trüben, immerhin.

Im Hotel zur Krone gabs Kaffee und Kuchen, anschließend begann das Abenteuer Heimreise – und es lief zunächst alles glatt. Am Neckar entlang ging es nach Stuttgart. Bruchsal hieß die nächste Station. Dann wurde es eng mit dem Anschluss, die Anzeige in der App ließ immer weniger Hoffnung, den Zug von Mannheim nach Frankfurt noch zu erreichen, die Alternative wäre Ludwigshafen gewesen – mit der Konsequenz, 45 Minuten später in Frankfurt zu landen. Aber letztlich ging alles glatt, der Zug in Mannheim stand sogar noch 10 Minuten länger im Mannheimer Hauptbahnhof als ich bereits drin saß.

Das Fußballspiel der Portugiesen gegen Slowenien im Frankfurter Stadion machte sich auf der Strecke nur rudimentär bemerkbar und so rollten wir mit überschaubarer Verspätung in Frankfurt ein. Ich sprang in die S-Bahn Richtung Konsti, musste dort auf die 12 verzichten, die wahrscheinlich rund um den Hauptbahnhof inmitten der Fußballfans steckte und nahm den 30er Bus hoch zur Shell an der Friedberger. Am Hallgarten sagte ich noch kurz der Montagsgang „Hallo“ und stolperte dann die paar Meter heim. Dort fiel ich erst Pia in die Arme und anschließend müde in die Koje, derweil sich Portugal im Elfmeterschießen in die nächste Runde mühte. Zu diesem Zeitpunkt steckte J., der mit mir am Bahnhof in Tübingen stand und eine andere Strecke nehmen wollte, immer noch in Ludwigshafen. So ist das eben mit der Bahn.