Sonntag Morgen, eine Stunde Schlaf fehlt, die Zeitumstellung macht es auch in London möglich – aber von wegen: Lazy on a sunday afternoon. Die gute Nachricht: Es regnet wieder nicht. Eine Schlechte gibt es nicht. Wir nehmen den 24er Bus um die Ecke, er fährt bis Hampstead Heath durch, unser erstes Ziel für heute.
Wieder schweift der Blick aus dem Fenster, wir passieren Westminster Abbey und Trafalgar Square und fahren hoch nach Camden. Kurz vor Hampstead Heath rollen wir an einem Pub vorbei, The Fiddlers Elbow, der recht einladend erscheint, vor allem, da er Live Musik anbietet – ein Ort, den man sich merken kann. Weiter oben ist Endstation, Hampstead Heath. An die Haltestelle schließt sich ein weitläufiger Waldpark an, Treffpunkt für Hundebesitzer, Jogger, Spaziergänger und sogar Radfahrer dürfen auf ausgewiesenen Wegen fahren. Die Entgegenkommenden tragen Gummistiefel, die Wege sind matschig und die für kleine blaue Bootchen gehaltenen Dinge auf dem ersten Teich entpuppen sich auf den zweiten Blick als technische Vorrichtungen. Nur wenige Kilometer von der pulsierenden City entfernt befinden wir uns in einem kleinen Naturidyll mit Viadukten, Trampelpfaden und einer bunten Tierwelt.
Durch ein Gatter laufen wir in einen abgegrenzten Park, der Weg führt hoch nach Kenwood, einem prächtigen Gebäude, einst in Privatbesitz des William Murray, 1st Earl of Mansfield, nun vom Nachbesitzer Lord Iveagh den Engländern geschenkt. Auf der Vorderseite sitzen Menschen, trinken Kaffee oder Tee und genießen einen Ausblick in die Ebene, im Dunst ragt die Skyline verschwommen in die Höhe. The Shard, London Eye, Gherkin.
Wir umrunden das Gebäude, der hintere Teil scheint für Besucher offen, eine Führung kostet 8 Pfund, wir werden aber darauf hingewiesen, dass der Eintritt kostenlos in. Und so reinigen wir unsere Schuhe und betreten das imposante Gebäude. Im Kamin flackert ein gasbetriebenes Feuer, an den Wänden hängen Bilder von Vermeer und Rembrandt. Es ist ein kleines Museum, welches die Geschichte der einstigen Besitzer erzählt, wir durchschreiten Ankleideräume, Bibliothekszimmer und Speiseräume, reich verziert und vornehm gestaltet, aus den Fenstern der Blick in den Park. Urplötzlich befinden wir uns auf einer Zeitreise, in der auch die Geschichte der Dido Elizabeth Belle erzählt wird; die Geschichte einer jungen Frau, die als Tochter eines englischen Offiziers und einer Sklavin auf die Welt kommt – und nahezu ihr gesamtes Leben auf Kenwood verbringt. Zwar genießt sie nicht die Privilegien der Herrschaften, wird aber trotz ihrer Hautfarbe und Herkunft als Familienmitglied anerkannt.
Wenige Schritte später sind wir wieder in der Wirklichkeit, oben im Norden haben wir den Park verlassen, ohne es jedoch wirklich zu wollen. Da wir auf dem Weg zunächst keinen weiteren Eingang finden, laufen wir hinunter nach Highgate, einem noblen Londoner Stadtteil, dessen Friedhof Berühmtheit erlangt hat, da hier Karl Marx begraben liegt. Da wir den guten alten Charly aber schon vor Jahren besucht haben, lassen wir ihn links liegen und spazieren durch Highgate, vorbei an Villen und feinen Wohnungen. Blumen auf einem Grünstreifen ziehen unsere Blicke auf sich, es scheint eine Gedenkstätte zu sein.
Beim Näherkommen bestätigt sich dieser Gedanke, und in der Tat: Tausende von Blumen, Bildern, flatternden Herzzetteln und Lichtern verweisen auf einen der Großen der Popmusik. Auf George Michael. Als er 2016 starb, legten Fans auf diesem Grünstreifen diese Gedenkstätte an – und ein Blick ins Netz zeigt uns auch, weshalb. Im Haus gegenüber hat George Michael gelebt, und dieser Grünstreifen gehörte quasi ihm. Bis heute pilgern Fans aus aller Welt hierher, um ihrem Helden zu gedenken. Die Nachbarschaft sah es zwischenzeitlich nicht so gerne, klar, wer will schon im Paradies den Pöbel vor der Haustür.
Nach wenigen hundert Metern erreichen wir wieder Hampstead Heath. In diesem Bereich liegen etliche Seen, die auch als Badeseen genutzt werden, es gibt einen für Männer und einen für Frauen. Hinter uns platscht es. Während ich noch an den Flügelschlag eines Reihers im Wasser denke, spricht Pia aus, was das Geräusch auch ausmachen könnte: „Wir sind hier in England, da baden sicher Leute“. Und so ist es. Bei milden 9 Grad springen drei Jungs ins Wasser, die Badesaison ist eröffnet. England. Aber auch in den letzten Tagen ist uns aufgefallen, dass du Touristen an den Wintermützen erkennst, die Engländer aber an den kurzen Hosen oder nackten Beinen.
Wir verlassen Hampstead Heath an der Stelle, an der wir den Park auch betreten haben und halten uns diesmal zu Fuß Richtung Camden. Auf dem Weg laufen wir wieder am Fiddlers Elbow vorbei, Musik dringt schon mittags nach draußen, und je mehr wir uns vom vornehmen Norden entfernen, umso alltäglicher wird die Gegend. Mietwohnungen, hier und da ein zerfallenes Haus. Nahe des Camden Markets wird es umtriebiger, hierher zieht es Touristen in rauen Mengen. Unten am Markt oder Camden Lock tobt der Bär. Tag für Tag locken Hunderte von Ständen vor allem die Jugend zum Kauf. Indische Tücher, Schmuck, CDs, Klamotten, hier gibt es alles, auch in den einstigen Pferdeställen, die nun Marktstände beherbergen. Massen schieben sich durch die Gassen, Streetfood an allen Ecken und Enden. Und genau dies war unser Ziel, ein Schälchen mit vietnamesischen Nudeln später laufen wir runter an den Canal.
Der Regents Canal fließt hier vorbei, wir laufen an ihm entlang Richtung Zoo. Hausboote lagern fest vertaut am Ufer, Plastikreste schwimmen im Wasser, immer wieder schippert ein Bootchen den Kanal entlang, mal mit Musikbegleitung, mal ohne. Im Zoo, der knapp 30 Pfund Eintritt kostet, lassen sich Hyänen und Warzenschweine blicken – die aber sicher nicht soviel bezahlt haben. Hinter dem Zoo kommst du über eine Brücke in den Regents Park, eine weitere Grünanlage mit Fußballfeldern und gepflegtem Grün. Wenn du den Park im Süden wieder verlässt, landest du in der Baker Street. Nach wenigen Metern sehen wir eine lange Schlange, Menschen stehen an, um einen Blick ins Sherlock Holmes Museum zu werfen, hier in der Baker Street 221b. Wer es bis zum Eingang geschafft hat, kann sich mit Mr. Watson fotografieren lassen. Wir laufen die Baker Street nach unten, passieren die Oxford Street und schlendern am Hyde Park Corner vorbei Richtung Hotel. Schon wartet der letzte Abend auf uns – und da uns gestern das Shabab in Shepherd’s Bush so gut gefallen hat, entschließen wir uns, noch einmal den 148 Bus zu nehmen.
Wieder geht es am Hyde Park entlang, vorbei am Speakers Corner, vorbei an Notting Hill. An der Tube Station Shepherd’s Bush steigen wir aus, und schlendern die Uxbridge Road entlang. Shops und Geschäfte haben offen, einen Pret a manger findest du hier nicht, aber Burger, Pubs, Gemüseläden; ein herrlich normaler mulitkultureller Alltag an einem Sonntagabend in der untergehenden Sonne. Im Shepherd’s Bush Empire findet heute ein anderes Konzert statt, Jim Bobs Auftritt ist Vergangenheit – und was wir vor 24 Stunden hier zum ersten mal sahen, die Ankündigung des Konzertes, ist nun Teil unserer Erinnerung, es ist ja alles so schnell vorbei. Doch entschädigt uns das Abendessen im Shabab, wir werden wieder erkannt und freuen uns, dass wir da sind.
Kurz darauf bringt uns der 148er wieder zurück zur Victoria Station. Es ist nun dunkle Vornacht, Rollkoffer klappern über die Wege, wir sind nach ein paar Minuten wieder im Hotel, schauen uns auf dem TV die Bilder der letzten Tage an und fallen zum letzten Mal für diese Tour in einen Londoner Schlaf. Keine 24 Stunden später werden wir wieder in Frankfurt sein. Aber noch haben wir einen halben Tag, mal schauen, wo es hingeht.
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