Der letzte Tag steckt noch immer in den Knochen, als wir morgens wach werden. Wir schlurfen runter zum Frühstück, Kaffee, Tee, Marmelade, Äpfel, alles da – und ein weiterer langer Tag wartet auf uns, vor allem am Abend der lange erwartete Auftritt von Jim Bob im Shepherd’s Bush Empire.
Natürlich reden wir, so wir in London sind, über das Wetter. Es ist, so viel sei verraten, erträglich, trocken und so schwingen wir uns raus auf die Straßen. Heute geht es zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder einmal nach Notting Hill. Ursprünglich wollten wir die Bahn nehmen, entscheiden uns aber für einen Spaziergang durch den Hyde Park. Nach knapp 15 Minuten Fußweg erreichen wir die Oase inmitten der Stadt und betreten ihn nahe dem Wellington Arch. Teilnehmer eines Laufwettbewerbs schnaufen an uns vorbei, manche haben das Ziel erreicht, andere müssen noch eine weitere Runde drehen. Wir lassen uns nicht groß stören und laufen am Serpentine Lake entlang. Enten spazieren zwischen den Füßen herum, die blauen Tretboote aber liegen noch etwas verlassen am Ufer. Ein Spaziergang durch den Hyde Park ist bei jedem London Besuch Pflicht, hier ist es ruhig und dennoch immer was los. Heute übt sich unter anderem ein Seniorentreff im Langlauf auf Rollskiern, es scheint, zu gelingen.
Hinter dem Hyde Park schließt sich Kensigton Gardens an, von dort aus ist es nicht mehr weit nach Notting Hill. Dort zweigt von der Pembridge Road die berühmte Portobello Road ab. An Wochenenden haben nicht nur die Läden geöffnet, auch unzählige Stände bieten Waren aller Art an, alte Rugbybälle, Stadtpläne, Schmuck, Klamotten, CD’s, es dampft und bruzzelt dazwischen – nur ein einsames Idyll findest du hier nicht. Menschenmengen schieben sich durch die Straßen, fotografieren das einstige Wohnhaus von George Orwell, posieren vor den bunten Häuschen für ein Foto, ein babylonisches Sprachgewirr.
Wir schieben uns wie alle durch die Straße, essen leckere Samosa an einem Stand, kaufen im inoffiziellen Banksyshop verhältnismäßig günstige Shirts, ein Kauf, der durch den hilfsbereiten und freundlichen Verkäufer noch leichter gemacht wird und machen uns dann weiter auf den Weg Richtung Shepherd’s Bush Empire. Zwar ist noch lange hin bis zum Abend, aber es schadet ja nicht, die Location samt Umgebung schon einmal in Augenschein zu nehmen. In Notting Hill lebt es sich wohl recht nett, aber auch recht vornehm – weiter hinten aber, in Shepherd’s Bush, tobt ein anderes Leben. Die beiden Stadtteile trennt ein großer Kreisel und es liegen Welten dazwischen. Shepherds’s Bush empfängt dich mit der Tube Station, unmittelbar dahinter reiht sich Shop an Shop. Doch während in Notting Hill die englische Mittel- bis Oberschicht zuhause ist, findest du hier ein multikulturelles Gemisch vom Feinsten. Junge Schwarze lassen sich für 10 Pfund die Haare schneiden, die Burger Läden offerieren ihre Burger für weniger als die Hälfte als in London City und in manchen Geschäften siehst du nur Männer. Direkt hier befindet sich auch Shepherd’s Bush Empire, der Veranstaltungsort für heute Abend. Buchstaben auf der Leuchtschiene verkünden: Sold Out. Gut, dass wir Tickets haben.
Pia hat mittlerweile heraus gefunden, dass die Buslinie 148 direkt von hier zur Victoria Station fährt – und dies sogar rund um die Uhr, um den Heimweg müssen wir uns nicht sorgen und so beschließen wir, noch einmal ins Hotel zu fahren, um später wieder zu kehren. Und so ist es auch, nach wenigen Minuten kommt der Doppeldecker, wir finden einen Platz ganz oben und fahren am Hyde Park entlang zurück. Ein Ferrari steht mit zerbeulter Motorhaube auf der Straße, auslaufendes Öl wurde mit Sand abgestreut; klar: In Notting Hill fährt man halt auch mal einen Ferrari zu Schrott. Unser Mitleid hält sich in Grenzen, während wir am Marble Arch an der Oxford Street vorbei fahren. Jetzt noch der Hyde Park Corner, dann fahren wir am Rande des Geländes des Buckingham Palace Richtung Victoria Station und laufen in wenigen Minuten Richtung Warwick Way. Einen Tee später ruhen die müden Knochen im Hotelzimmer aus.
Wenig später geht es mit dem Bus wieder in die gleiche Richtung zurück. Pia hat einen kleinen Laden ausbaldowert, nur wenige Meter vom Empire entfernt, dort wollen wir essen, bevor es zum Konzert geht. Und in der Tat, das Shabab in der Uxbridge Road ist sensationell. Es ist nur ein kleiner Laden, innen eher unscheinbar, aber du bekommst hier ein Curry oder Lammkoteletts für kleines Geld, wie es besser nicht ein kann, perfekt die hausgemachte Chilisoße, freundlich die Leute, die hier arbeiten und für den Preis, den wir zusammen bezahlen, wird dir in der City ein Bier gebracht. Das war eine perfekte Idee und zum Abschluss holen wir uns noch ein Bier in einem Kiosk. Man muss ja immer aufpassen, ein Bierchen in der Hand kann dich im Bezirk Westminster schnell ein paar hundert Pfund kosten, um uns kümmert sich hier allerdings niemand. Der Pub um die Ecke ist brechend voll, überall sitzen Leute mit Carter T-Shirts, die Vorfreude aufs Konzert scheint wie immer riesig. Leider habe ich die Kontaktdaten zur Aftershow Party verbaselt, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird sie ohne uns stattfinden – aber nach Stunden auf den Beinen und dem bevorstehenden Konzert dürfte die Aftershow so oder so bei uns im Hotelzimmer stattfinden. Schlafend.
Wir besitzen Stehplatztickets für heute Abend, es gibt einen gesonderten Eingang und nach wenigen Minuten sind wir unten. Das Pint Bier kostet knapp sechs Euro, der Laden scheint eine verkleinerte Ausgabe der Brixton Academy, nach oben hin ziehen sich mehrere Ränge wie Balkone, eine wunderbare Location. Der junge Mann am Merchstand weiß nichts von der Aftershowparty, auch die Nachfrage auf Twitter bringt keine Erkenntnis, sei’s drum wir gehen relativ weit nach vorne – und werden für den Rest des Abends unseren Platz nicht mehr verlassen.
Der Support kommt von Mark Morris, Singer Songwriter, der seine Sache ordentlich macht. Uns ist er unbekannt, aber einige aus dem Publikum scheinen ihn gut zu kennen, sie singen alle Songs mit, als gäbe es keine Morgen, für kurzweilige Unterhaltung ist gesorgt. Anschließend ertönt eine kunterbunte Mischung britischer Songs aus den Lautsprechern, David Essex, David Bowie, Queen, Sid Vicious, auch hier singen etliche mit, während es langsam aber sicher voll wird – die Einstimmung ist furios.
Während Carter USM in all den Jahren vor einer fetten Stroboskopwand nonstop bretterten, so sind die Solowerke von Jim Bob durchaus akkustisch auch mit Piano geprägt, von daher ging ich davon aus, dass sich der heutige Abend musikalisch massiv von den vorangehenden Auftriiten unterscheiden würde – und so kam es auch. Statt Strobos wird die Bühne rückseitig von einer Leinwand flankiert, auf der Bilder von Jim Bob mit einem Detector zu sehen sind, nahezu meditativ. Es beginnt mit einem Pianoauftritt von Chris T-T, der auch während des Auftritts immer wieder Einlagen liefert. Jim Bob aber greift zur akkustischen Gitarre, spielt eigene Songs aber auch Carter Hits, erinnert an seine jüngst verstorbene Mutter und hat wie stets den Schalk im Nacken. Ein Großteil des Publikums aber scheint auf Carter geeicht und liefert sich die ein oder andere Pogoschlacht, die zum Teil nicht zum Konzert passen will, Bier für Unsummen fliegt über die Köpfe, alles in allem ein kurzweiliger Abend, der nach einigen Zugaben unter Seifenblasen zu Ende geht.
Am Ende sind wir jetzt auch, und da wir noch immer nicht für die Aftershow gezeichnet haben, nehmen wir den 148 Bus, der nach wenigen Minuten kommt und rollen wieder am Hyde Park vorbei Richtung Victoria. Ein Bierchen später fallen wir in die Betten – und mehr als die Hälfte unseres London-Trips ist schon wieder vorbei. Aber noch haben wir knapp zwei Tage – und diese wollen gefüllt werden.
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