Das Internet ist ja manchmal fantastisch. Ohne große Hoffnung klickte ich bei YouTube auf der Suche nach alten Tatortfolgen herum – und siehe da: Es gibt jede Menge davon, sogar die allerersten. In voller Länge. Schöne Autos, flotte Damen, großartige Regisseure und psychedelische Dekorationen. Langeweile war gestern. Das bisschen Homophobie und Sexismus nehmen wir in Kauf.
Der erste Tatort heißt „Taxi nach Leipzig„, der erste Kommissar Paul Trimmel, gespielt von Walter Richter. Allerdings wurde dieser Tatort ebenso wie Tatort Nummer neun, „Exklusiv!“, schon vor der Konzeptionierung der Serie gedreht und anschließend in die Reihe integriert. Der erste Schauspieler, der im Tatort zu sehen war, ist Günter Lamprecht, später populär geworden als Franz Biberkopf in der Serie Berlin Alexanderplatz. Noch später sollte er selbst Tatortkommissar werden. Das erste Auto, welches sich ins Bild schiebt, ist ein Mercedes 300 SEL. Sogar mit Frankfurter Kennzeichen. Und obgleich Trimmel Hamburger ist und viele Szenen in der DDR spielen, wird Frankfurt zu einem Schauplatz in diesem, ersten Tatort. Eben da viele Szenen in der DDR spielen, sind natürlich auch DDR-Fahrzeuge zu sehen, darunter ein Wartburg als Taxi. Trimmel selbst fährt einen Ford P3, dem er den Keilriemen durchschneidet, um einen Anlass vorzutäuschen, die Transitroute zu verlassen. In der zweiten Folge „Saarbrücken an einem Montag“ sehen wir eine hübsche Verfolgung zwischen einem Citroen DS und einem Käfer.
Richtig: Typisch für die ersten Tatorte waren junge Mädchen, mondäne Frauen, Autos, Rauchwaren aller Art und Schnaps. Es wird geraucht und getrunken als gäbe es kein Morgen, ob Praxis oder Amtsstube und während der ersten Tatorte sind jede Menge Frauen nackt zu sehen, darunter Erika Pluhar in Tatort Nummer elf, „Der Richter in Weiß“ (mit dem großartigen Helmut Käutner als vernarrtem Psychologen) oder bereits 1969 in „Exklusiv!“ Marika Mindszenty, die im Film den fantastischen Nachnamen „Grabowski“ trägt. Einer der ersten Kommissare, Zolloberinspektor Kressin, liegt in „Kressin und der tote Mann im Fleet“ selbstverständlich mit zwei Mädchen im Bett, die er kurz zuvor kennen gelernt hat, dargestellt von den nun schon länger verstorbenen Sabine Sinjen und Eva Renzi. Sex and Drugs and RocknRoll.
Ruth Maria Kubitschek hingegen verkörpert den Typus „damenhafte Unternehmensgattin“ in der Folge „Blechschaden„. Der windige jugendliche Liebhaber wird hierbei vom jungen Götz George gespielt, dessen Wagen ein NSU Ro 80 ist. George wurde später Schimanski – einer der populärsten Ermittler der Serie. Der größte Schurke aber wird während der ersten Folgen mehrfach von Ivan Desny verkörpert: „Sievers“ heißt er in den Folgen mit Kressin (Sieghardt Rupp). Sievers fährt unter anderem einen Rolls Royce, wenn er nicht gerade in einem Hubschrauber flieht oder Carrera-Bahn fährt.
Frankfurt taucht bald in „Frankfurter Gold“ erneut auf, es war der sechste Tatort überhaupt und dieser spielte in Frankfurt und Umgebung. Angelehnt an einen authentischen Fall wird rückblickend die Geschichte des Hochstaplers Joachim Stein, in Wirklichkeit „Blum“ erzählt, Kommissar Konrad alias Klaus Höhne ermittelt erstmals, sieben weitere Auftritte als Konrad sollten folgen. Lokalkolorit gibt es zwar wenig, auch Frauen spielen nur eine Rolle am Rande, so Ilona Grübel als Freundin der Hauptfigur, aber es wird viel frankfurterisch gesprochen – von einer Riege großartiger Schauspieler wie Karl Lieffen, Hans Christian Blech, Fritz Rasp oder Günter Strack. Auch PKWs spielen eine Rolle, zwar nur selten im Bild belegen sie den Werdegang des Hochstaplers symbolisch. Über einen Opel Rekord zur Heckflosse zum Mercedes 600 entwickelt sich dessen Fuhrpark analog seiner Karriere. Und es gab Ärger: Der echte Fall war noch gar nicht verhandelt, die Verteidigung fürchtete eine Vorverurteilung.
In Folge neun, Exklusiv!, in der Heinz Bennent (erinnernd an Paul Newmann) die Hauptrolle spielt, fährt dieser zunächst einen eleganten Peugeot 204 Cabrio, in Frankreich später einen Peugeot 404. Ähnlich wie in Billy Wilders Boulevard der Dämmerung beginnt der Tatort in der Gegenwart, um rückblickend die Geschichte zu erzählen. Zwar ereilt die Hauptfigur nicht das gleiche Schicksal wie Joe Gillis, doch auch hier liegen Schuld und Unschuld sowie schicksalhafte Wendungen dicht beisammen. Die junge Freundin Utta Grabowski, gespielt von Marika Mindszenty, ist zwar nicht Edmund Franks (Heinz Bennents) Untergang, doch die Richtung stimmt. Ein unterschätzter moderner deutscher Film noir. Regie führte Peter Schulze-Rohr. Marika Mindszentys Spur verliert sich laut Wiki in den nächsten Jahren völlig. Ihre Karriere schien – wie im Film vorweg genommen: „Der Sturm vor der Ruhe.“
Auch Musik spielte stets eine Rolle, ob als Schlager im Cha Cha Cha Club (Auf offener Straße) oder als Begleitmusik. Bemerkenswert der fachmännische Kommentar von Kommissar Finke (Klaus Schwarzkoppf) bei dessen erstem Auftritt im Tatort „Blechschaden“ – als der junge Verdächtige Peter Reichert (Volker Eckstein) auf dem Bett liegend Musik hört und der nicht mehr ganz jugendliche Finke sofort feststellt: Led Zeppelin.
Eine vollständige Aufarbeitung der Autos, der Musik oder der Darsteller der Reihe „Tatort“ wäre eine schöne Aufgabe. Falle dies jemand finanzieren möchte: Ich würde es machen. Mit Vergnügen. Hier folgen zunächst ein paar Screenshots der frühen Jahre:
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