Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Über Offenbach und La Coruna nach Liverpool

Die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren sicherlich eine besondere Zeit. Für diejenigen, die dort aufgewachsen sind aber auch in der Retrospektive für die Nachgeborenen. Von Schlager zu Punk, die Eintracht schwankte wie immer zwischen Höhen und Tiefen – und darüber erzählten Dr. Peter Kunter, Peter Reichel und Thommy Rohrbach im Museum der Frankfurter Eintracht.

Während der fliegende Zahnarzt Kunter schon 1965 zur Eintracht gestoßen ist, kamen Rohrbach und Reichel 1970 an den Riederwald. Peter Reichel wohnte zunächst brav am Riederwald, Thommy hingegen freute sich auf das Stadtleben und zog gleich in eine eigene Wohnung. Allen drei war gemein, dass sie schon früh über den fußballerischen Tellerrand hinaus blickten, jeder auf seine eigene Art und Weise. Kunter promovierte zum Doktor der Zahnmedizin, Reichel studierte Pädagogik und avancierte zum Lehrer, während Thommy die wohl schillernste Verkörperung des Zeitgeistes der 70er Jahre lebte. Lange Haare, Rockmusik, Nachtleben – so die Zutaten der wilden Jahre des ersten Popstars der Eintracht, dessen Popularität noch wuchs, als die Eintracht bei Frank Elstners Montagsmalern im Fernsehen auftrat. Säckeweise Post hatte er zu beantworten, was ihm mit Hilfe seiner Mutter auch gelang. Thommy, der in einem klerikalen Elternhaus aufgewachsen war, hatte seinen Vater früh verloren – und liebte dennoch oder vielleicht gerade deshalb das Leben in der Metropole.

Die erste Saison, die in den 70ern begann und auch dort endete sollte die Bundesliga über Jahre hinweg prägen, stand an deren Ende doch der „Bundesligaskandal“, enthüllt durch den Offenbacher Gemüsehändler und Präsidenten des OFC, Horst Gregorio Canellas, auf einer Gartenparty – einen Tag nach dem Abstieg der Kickers, deren Bestechungsversuche ins Leere gelaufen waren. Andere hatten mehr geboten. Die Eintracht rettete sich erst spät, vorentscheidend der 2:0 Sieg in Offenbach, vorentscheidend aber auch die Reaktivierung von Meisterspieler Dieter Lindner, der die Jungen an die Hand nahm. Das Spiel beim OFC aber sollte in die Geschichte eingehen. Zum einen lag eine spürbar giftige Atmosphäre in der Luft, schon bei der Anfahrt der Eintracht spürten die Spieler den Hauch der OFC-Fans im Nacken, zum anderen machte Dr. Peter Kunter das Spiel seines Lebens und zum dritten traf Bernd Nickel gegen einen wütend anstürmenden OFC per Seitfallzieher zum vorentscheidenden 1:0 für die Eintracht. Hölzenbein machte später den Deckel zu, das 2:0 war die Entscheidung, die Eintracht hatte sich vor die Kickers gesetzt und dies sollte sich am letzten Spieltag auch nicht mehr ändern. Der Bundesligaskandal veränderte die Liga nachhaltig. Die Zuschauerzahlen sanken, Bielefeld und die Kickers wurden bestraft, wie auch etliche Spieler von Schalke, der Hertha aber auch Kölner, Duisburger oder Braunschweiger Akteuere bezahlten teuer. Der Skandal beendet auch die Karriere des großartigen Stan Libuda. Eintracht Frankfurt zog sich seinerzeit elegant aus der Affäre, ob sich bei erneuter Untersuchung ein ähnliches Bild abgeben würde, dürfte zu Recht bezweifelt werden.

Eintracht Frankfurt aber schwang sich in den folgenden Jahren zunächst unter Trainer Ribbeck später mit Dietrich Weise zu einer deutschen Spitzenmannschaft auf – trotz der Tatsache, dass der Kader nur äußerst behutsam verändert wurde. Dieter Lindner beendete seine Karriere endgültig, Charly Körbel trat in die Fußstapfen von Friedel Lutz. Mit Grabowski, Hölzenbein, Nickel, Reichel, Kalb, Kunter, Trinklein, Rohrbach oder Kraus prägten jahrelang die gleichen Spieler die Eintracht der frühen 70er Jahre. Ein Stabilisator der Abwehr stieß 1972 zur SGE, Uwe Kliemann, der gemeinsam mit Gert Trinklein alles abräumte, was sich ihm in den Weg stellte, sogar den eigenen Trainer. Einen Tag nach einem Trainingsspiel erschien Ribbeck mit einem Gipsbein, Kliemann hatte alles gegeben und der Trainer, der oftmals Trainingsspielchen so lange laufen ließ, bis seine Mannschaft gewonnen hatte, den Kürzeren gezogen. Als der „Funkturm“ wie Kliemann ob seiner 195 cm Körpergröße genannt wurde, die Eintracht im Sommer 1974 in Richtung seiner Heimatstadt Berlin verließ, verpasste er nicht nur das Pokalfinale, welches wegen der WM im eigenen Land erst zu Beginn der Folgesaison ausgetragen wurde, sondern er hinterließ auch eine Lücke im Abwehrzentrum, die Peter Reichel 41 Jahre später zur Aussage verleitete: Wäre Kliemann bei uns geblieben, hätten wir mit der Truppe den zweiten Titel nach 1959 an den Main geholt.

Dazu kam es jedoch bekanntermaßen nicht. Immerhin aber konnte sich die Eintracht zur Saison 1972/73 erstmals seit 1969 wieder für den Uefa-Cup qualifizieren – und traf in der ersten Runde auf den FC Liverpool. Die Erinnerung an das Hinspiel an der Anfield Road brachte auch heute noch die Augen von Rohrbach und Reichel zum Leuchten, auch wenn die Eintracht mit 0:2 unterlag. Liverpool, trainiert vom legendären Bill Shankly und mit Kevin Keegan in den Reihen, dessen Gegenspieler der vom Linksaußen zum Verteidiger umgeschulte Thommy Rohrbach war, dominierte die Eintracht – doch erst ein Abseitstor brach den Bann zugunsten der Engländer, die zuvor ein ums andere Mal am bestens aufgelegten Dr Peter Kunter gescheitert waren. Jenem Kunter, dem es nach eigenen Worten relativ egal war, wo er spielte, ob in Düsseldorf, Offenbach oder Liverpool – Hauptsache, die Anzahl der Gegentore hielt sich in Grenzen. Reichel und Rohrbach schwärmten noch heute von der Atmosphäre an der Anfield Road. Ein Wechsel jedoch war ausgeschlossen, der englische Fußball nahm keine Spieler aus dem Ausland auf. Mit dem 0:0 im Rückspiel endete der Ausflug der Eintracht ins internationale Geschäft, Liverpool aber konnte die Saison mit dem Gewinn des Uefa-Cups krönen.

Auch abseites des Platzes hatten die drei Protagonisten des Abends einiges zu berichten. Während sich Kunter auf sein späteres Leben als Zahnarzt vorbereitete und zuweilen gar Lektüre mit in die Sauna nahm, hatte Reichel Thommies alte Wohnung am Palmengarten übernommen, der Weg zur Uni wurde somit um einiges kürzer. Rohrbach hingegen widmete sich nicht nur dem Fußball. Er lernte die Musiker von Deep Purple kennen, wie ihn generell die Musik der damaligen Jahre in den Bann zog; Led Zeppelin oder Deep Purple drehten sich auf dem Plattenteller, die er zuweilen seinem Zimmernachbarn bei Auswärtsspielen, Peter Reichel, näher bringen wollte. Dessen Begeisterung jedoch hielt sich in Grenzen. Sowohl Kunter als auch Rohrbach wurden in jenen Jahren sogar Protagonisten eines eigenen Films. Kunter drehte mit Joachim Kreck den Neunminüter No 1 und Rohrbach mit dem Schriftsteller Ror Wolf den Film Keep Out.

Ein weiteres gemeinsames Highlight sollte im August 1972 der Ausflug nach Spanien, genauer gesagt nach La Coruna werden. Aus dem angedachten Turnier um die Trofeo Conde de Fenosa wurde allerdings nur ein „Freundschaftsspiel“ zwischen Deportivo und der Eintracht, alle anderen Clubs hatten zurück gezogen. Und aus dem Freundschaftskick wurde ein Gemetzel. Rohrbach hatte später in einem Gespräch mit Ror Wolf das Motto des Spiels bestätigt: Sieg oder Blut am Schuh. Deportivo wollte den Pokal, der knapp 1,50 Meter groß und über 20 Kilo schwer und zudem wohl in Spanien recht populär ist, unbedingt gewinnen, nicht zuletzt Eintrachtspieler Ender Konca wurde ein ums andere Mal übel getreten. Dieser revanchierte sich mit einem Tritt, der das Bein seines Gegenspielers offen legte – und erzielte später das einzige Tor der Partie. Konca, der erste türkische Spieler im Trikot der Eintracht, der fußballerisch vieles mitbrachte, sich aber in der Fremde nie wirklich heimisch fühlte, blieb zwei Jahre in Frankfurt – und entschuldigte sich nach seinem Abschied 1973 schriftlich, dass er die hoch gesteckten Erwartungen nicht erfüllen konnte. In La Coruna jedoch war der Platzwart nach der Niederlage gegen die Eintracht so verärgert, dass er kurzerhand das Flutlicht ausknipste. Kliemann und Rohrbach schleppten den Pokal im Dunklen vom Spielfeld.

1974 und 1975 konnten alle drei, Kunter, Reichel und Rohrbach mit der Eintracht den DFB-Pokal gewinnen, 1974 standen sie noch gemeinsam auf dem Platz. Ein Jahr später durfte nur der pfeilschnelle Reichel von Beginn an auf den Rasen. Während Rohrbach noch im selben Jahr die Eintracht in Richtung Griechenland verließ und später dort eine zweite Heimat fand, in der er auch heute noch einen Großteil des Jahres verbringt, blieb Reichel bis 1977/78 Profi, um sich anschließend reamateurisieren zu lassen. Neben seinem Lehrerberuf kickte er noch lange für die Amateure der Eintracht. Kunter, der seine Karriere schon mehrfach beendet hatte, musste immer wieder als Notnagel ran, zuletzt als sich Günther Wienhold in Mönchengladbach das Bein gebrochen hatte. Zusammen absolvierten sie rund 600 Bundesliga-Spiele für die Eintracht, verhinderten den schon fast sicher geglaubten Abstieg, holten Titel und verstanden es, abseits des Platzes ein Leben zu führen, welches ihrem Wesen gemäß angemessen war. Und noch heute blitzen die Augen, wenn sie von den Jahren erzählen, die vielleicht gar nicht so wild waren, wie es manchmal den Anschein hat. Auch wenn Thommy Rohrbach nicht traurig darüber schien, dass unter Ribbeck das Training oftmals erst nachmittags angesetzt war. Und sogar für das Museum fiel ein neues Exponat ab. Doc Hermann, der große Eintrachtsammler und Fan von Dr. Peter Kunter, hatte es geschafft, die Fahnen der Linienrichter vom Pokalfinale 1964 aufzutreiben. Dass dabei die Eintracht den Münchner Löwen mit 0:2 unterlegen war, scheint heute nebensächlich.

Fotos: Pia Geiger

7 Kommentare

  1. wib

    Danke Beve für den Bericht.
    Habe schon darauf gewartet und natürlich wurden die Erwartungen übertroffen.
    Thommy Rohrbach war damals mein absoluter Liebling….
    „Diese Haare…“
    Anderster als heute Alex Meier, den bewundere ich hauptsächlich wegen seiner fußballerischen Leistungen.
    Aber heute bin ich ja auch ebbes älter. :)
    Jetzt habe ich ein Foto mit Thommy und gaaanz viel von ihm.
    Die könnte ihr, wenn ihr wollt, nun auch bewundern.
    https://www.facebook.com/media/set/?set=a.10206079774371527.1073742280.1177246814&type=1&l=d57b1c13e5

    Danke Museum für die tolle Verunstaltung mit Rohrbach und den annern.

  2. Beve

    Thommy und die Mädels :-)

    Danke für die Bilder. Klasse: Matze mit Fahnen hinter Thommy und dir

  3. Simone

    Schöner Abend , nette Gäste , schön geschrieben.

    Danke ans Museumsteam , danke an die 3 Recken , danke an Beve.

    Wieder so ein Gänsehaut-Abend. Von Dir absolut toll moderiert und genauso zusammen gefasst.
    Und das Matze sich hinter Sabine und Thommy geschummelt hat, hehe, passt doch.

    • Beve

      Gut, gell :-)

      • Wim

        Dieser Teil aus dem Bericht trifft – fand und finde ich – gerade für diese drei Eintrachtler zu und sprich mir aus dem Herzen:

        „Zusammen absolvierten sie rund 600 Bundesliga-Spiele für die Eintracht, verhinderten den schon fast sicher geglaubten Abstieg, holten Titel und verstanden es, abseits des Platzes ein Leben zu führen, welches ihrem Wesen gemäß angemessen war. Und noch heute blitzen die Augen, wenn sie von den Jahren erzählen, die vielleicht gar nicht so wild waren, wie es manchmal den Anschein hat.“

        Dr. Kunter hat es, glaube ich, schon irgendwann gesagt: obwohl der Fußball sich von heute natürlich weiter entwickelt hat (sprich: Kommerz und Vermarktung spielen eine wesentlich größere Rolle als in den 70ern, Einfluss der Medien, usw.), so wäre es doch gar nicht so blöd, wenn auch mancher moderne Profifußballer mal einem netten Studium oder einem „echten“ Beruf nachgehen würde.

        Übrigens: Klasse Bericht, der dem Eintracht-Fan in den Niederlanden das Gefühl gab, irgendwie „live“ dabei gewesen zu sein.

        DANKE!

        • Beve

          Bitteschön. Ja, über den Tellerrand blicken – Das bringt einem ja niemand mehr bei :-)

  4. robertz

    Schade, dass ich nicht dabei sein konnte. Früher, als kleiner Bub, dachte ich immmer, Thommy Rohrbach muss schon was Besonderes sein, schliesslich ist eine Strasse in Frankfurt nach ihm benannt.

    An eine Begebenheit erinnere ich mich noch sehr gut. Ich stand mit einigen Kumpels am Riederwald, um Autogramme unsere Idole zu erhaschen, Holz und Nickel und einige andere hatten keinen Bock und gingen an uns vorbei. Thommy blieb stehen und nahm sich Zeit für uns. Wir nahmen allen Mut zusamman und beschwerten uns bei ihm, seine Kollegen würden uns keine Autogramme geben. Die Reaktion von Thommy Rohrbach, mit einem verächtlichen Blick (Ich werde es mein Lebtag nicht vergessen!): „Das sind eben Stars….!“ Ich hätte Thommy zu gerne gefragt, ob er sich an diese Begebenheit erinnert, ist ja auch nur ca 45 Jahre her. ;-)

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