Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Logbuch Thailand – Finden und verlieren

Die Tage vergehen im Wellenschlag, Erkundungen, Erholungen, Erfahrungen. Es gibt keine Eile. Morgens beim Erwachen saß eine Gecko hinter meinem Badspiegel. Er hat sich erschrocken, als ich kam.

Die Insel durchlebt derzeit dies, was wir wohl unter Gentrifizierung verstehen, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie im Reiseführer von Stefan Loose vermerkt ist. Es gibt nunmehr einige größere Resorts, wohl komfortabler, obgleich es diesen Komfort eigentlich nicht braucht. Die Wege werden vermeintlich verbessert, aus sandigen Dschungelwegen werden betonierte Straßen, auch an den Straßen werden Resorts gebaut. Von dort muss man dann an einen Strand fahren. Wobei das ja gerade das Tolle ist, der kleine Bungalow am Wasser, der Blick auf Sonne und Meer, die Schlichtheit des großen Glücks.

Nach dem Frühstücksschreiben traue ich mich wieder ins Wasser, blaugrün, warm und vermeintlich so harmlos. Ich möchte mir die Hippy Bar am nördlichen Ende des Strandes einmal anschauen, sie liegt einige Hundert Meter entfernt. Ich schwimme, ich laufe abwechselnd, bleibe relativ dicht am Ufer, kaum jemand ist unterwegs. Vom Strand aus kann man die einzelnen Resorts entdecken, manche sehen einladend aus, andere sagen mir: Nichts für dich. Unterwegs finde ich eine der wenigen Muscheln, sie ist zehn Zentimeter lang, gezwirbelt und wunderschön. Ich halte sie beim Laufen in der Hand und stecke sie beim Schwimmen in die Badehose. Um sie sicher zu behalten, müsste ich laufen, aber ich mag das Schwimmen und so spiele ich ein Spiel. Wenn ich die Muschel noch habe, so ich an meinem Resort ankomme, dann gehört sie zu mir, wenn nicht gehört sie dem Meer. Ich machs kurz, sie gehört dem Meer.

Unterwegs finde ich zwei Glasscherben, die ich entsorge. Es ist bei aller Sorglosigkeit stets ratsam, überall genau zu schauen, willst du weiterhin halbwegs unbeschadet durch die Zeit kommen. Kleine Gefahren lauern überall, die größeren halten sich bislang versteckt.

Die Lichter der Hippy Bar kann ich des Nachts von meiner Veranda aus sehen, jetzt stehe ich davor. Es ist ein größeres Gelände, die einzelnen Elemente bestehen aus Treibgut, vielleicht schaue ich mir das Ganze am Abend einmal genauer an. Den Weg zurück verbringe ich schwimmend, es ist ein heißer Tag, mal liege ich auf dem Rücken und paddel, mal schwimme ich Brust, erneut ziehen die Resorts an mir vorbei. Sollte ich eines Tages woanders sein und eine Unterkunft brauchen, scheint es eine gute Idee zu sein, einen Strand entlang zu wandern und von dort aus zu suchen. Zu finden. Es sind die schwach beleuchteten, die kleinen, wenig marktschreierischen Plätze, die leise wispern: Beve, schau mich an.

Obgleich ich nun schon eine ganze Weile hier bin, merke ich, dass ich mich leicht verbrannt habe, das Wasser hat die Sonnenstrahlen verstärkt. Es wird nicht schlimm werden, aber Schatten ist für den Rest des Tages ein guter Ratgeber. Ich dusche unter der kleinen Dusche im Garten und schaue mich um. Am Ende des Grundstückes zum Nachbarn hin, stehen zwei winzige Tempelchen, jeden Morgen bringen Lae oder Kin oder Al kleine Opfergaben, entzünden Räucherstäbchen und versorgen den Tempel mit Nahrung. Das ganze geht still und leise vor sich, keine Kirchenglocken schlagen, kein Muezzin ruft, jeder lebt seinen Tag nach seiner Facon und bislang habe ich den Eindruck, dass man dies auch einem anderen zugesteht.

Später nehme ich meinen Roller und surre über die Insel. Gestern hatte ich einige Postkarten gekauft, am Pier ist ein Briefkasten. Ich nehme den Weg, der ans nördliche Ende der Ostüste führt, roller später wieder an den Mönchen vorbei, und treffe im Ort auf Al und Cha, die gerade aus Ranong zurück gekommen sind und Richtung ihrer Heimat rollern. Auch finde ich einen Briefkasten, die ersten Kärtlein verschwinden darin, gute Reise.

Dann fahre ich in den südlichen Teil der Insel, und passiere ein hochmodernes Resort, am Zugang zu den Bungalows ein Schild: Only for guests. Das ist meist nicht nötig, aber hier weht ein anderer Wind. Dahinter verbirgt sich eine weitere Anlage, die sehr gemütlich daher kommt. Hier darf man auch hinein. Am Strand Richtung Osten stehen ein paar Schattenschirme mit Kokosdächern, auf der Anlage sind schöne Plätze zum Relaxen verteilt, Hängematten, Podeste, Schattenbäume. Niemand ist um diese Zeit hier anzutreffen, ich surre weiter in den Dschungel, die Wege sind sandig, der Roller schnurrt, es riecht nach Cashewnüssen. Unterwegs begegne ich niemandem, ich fahre eine ganze Weile und erreiche einen hölzernen Rohbau einer kleinen Hütte auf einem Hügel, ein Weg, den meine Yamaha nicht schafft. Ich roller noch einige Hundert Meter weiter, beschließe, umzukehren, und stelle den Roller ab, um zu Fuß zum Hüttchen zu laufen. Von hier sieht man durch die Palmen und Cashewbäume das Meer, ein Maßband liegt auf dem Boden, die Bauarbeiter haben es wohl vergessen, ich lege es auf den Hüttenboden und kehre um, für heute habe ich genug gesehen. Unterwegs hole ich mir noch eine Ananas in einem kleinen Markt, die ich in meiner Hütte zerteile. Der Saft läuft mir die Finger entlang.

Etwas später legt ein größeres Boot am Ufer an, es gehört zum Resort nebenan. Als ich baden gehe, tuckert der Motor, Wasser wird abgepumpt, es riecht nach Diesel. Das Boot erscheint mir zu groß für die Bucht, es wird ein Schiff sein, das Touristen zum Tauchen oder Seacruisen fährt. Ich verlasse das Meer, dusche und schwinge mich auf meinen Roller, um mir den Sonnenuntergang in der Hippy Bar anzusehen. Fünf Minuten fahre ich gen Norden, dann biege ich auf einen Sandweg ab, um nach weiteren fünf Minuten auf dem Parkplatz zu landen. Es geht einige Meter nach unten und schon habe ich die Bar erreicht. Ein Thaihippy begrüßt mich, fragt nach meinem Wunsch, den ich mit einem Bier und einem Sunset präzise formuliere. Ein paar Hippytouristinnen klimpern auf einer Gitarre und singen dazu. Ob dies der Grund ist, dass sich die Sonne langsam verzieht, vermag ich nicht zu sagen, ich setze mich auf ein Podest und schaue aufs Meer. Auch hier gibt es einige schöne Plätze zum Chillen, sogar ein aus Treibholz gebautes Schiff. Und es gibt Hippydrinks, Hippyshakes und einiges andere mehr.

Auch am nur wenige Schritte entfernten Strand ist wenig los. Der ein oder andere Strandläufer kommt vorbei, fotografiert und spaziert weiter. Wäre ich 25 Jahre jünger, so würde ich diesen Ort lieben, jetzt betrachte ich ihn mit der illusionären Weisheit des Alters. Wer hier einen Drink oder anderes zu sich nimmt, bezahlt den Hippy spirit etwas teurer als an anderen Orten.

Der Sonnenuntergang ist ein Spektakel, wenn man genau schaut, könnte man das Farbenspiel seitenlang beschreiben, das Blau, das Orange, das Wasserrauschen und der spätrote Sonnenball, der irgendwann im Westen verschwindet und Himmel wie Wolken ihren Farben überlässt. In den letzten Minuten verstummte auch das Gitarrenspiel, ein Flugzeug hinterlässt einen silbernen Streif im Himmelsrot. Ein Hund hat sich zu mir gelegt, er guckt mich an, dann aufs Meer und müffelt vor sich hin.

Noch ist die Nacht nicht angebrochen, da erklingt Musik aus den Boxen, die Lichter sind angegangen, die Bar rüstet sich zur Nacht. Ich bezahle meine Dose Chang, der Afrothai wühlt in einer Kiste mit Geld, um zu wechseln, ein „see you again“ und schon holper ich mit meinem Roller durch die angehende Nacht. Der Fahrtwind kühlt, vielleicht mache ich eines Tages noch eine größere Nachttour mit dem Rollerchen, es macht unglaubliche Freude, langsam an den beleuchteten Bars vorbei zu tuckern.

Da Eow wieder zurück gekehrt ist, kann ich auch wieder „zuhause“ zu Abend essen, ich löffel mein fabelhaftes rotes Curry und schaue aufs Meer, das größere Boot ist verschwunden. Ich erfahre, dass Lae uns morgen verlässt und in ihre Heimat, Myanmar, zurück kehren wird, ihre Arbeit ist beendet, die Saison neigt sich dem Ende entgegen. Ihre freundliche und stille Art wird mir fehlen. Immer wieder habe ich sie bei ihrer Arbeit beobachtet, und es gab genug zu tun. Ich verabschiede mich, drücke ihr einige Baht in die Hand und denke, dass Pia sie vielleicht auch im kommenden Jahr kennen lernen wird. Später liege ich in meiner Hängematte, verdecke mit einem Sarong den Blick auf ein grelleres Licht im Resort nebenan, das aber bald gelöscht wird. Im Norden funkeln die Lichter der Hippy Bar und einige weitere, das Meer rauscht, der Gecko macht sich bemerkbar, der halbe Mond wirft seinen Glitzerstreif auf das Wasser und ehe ichs verstehe, saust eine Sternschnuppe hernieder. Ich lege mich ins Bett, öffne mein Fenster, schaue ein paar Minuten auf den Mond und schlafe ein. Ob meine Muschel für immer im Meer verschwunden ist? Vielleicht treibt sie ja wieder an den Strand und irgend jemand findet sie und weiß nichts von unserer Geschichte. Ich wünsche ihr eine gute Reise.

5 Kommentare

  1. Yves

    Gude Insulaner,

    die Wunde wird weggechillt. :) Aus der Heimkurve ist der Wunsch nach dem Foto des Tukans zu vernehmen. ;) Ich träume von Deiner Insel und genieße Deine Berichte im kühlen hessischen Regen.

    So long, Traveler.

    Y

    • Beve

      Hey, ja die Wunde bessert sich täglich, Ruhe ist kein schlechter Arzt :-) Viele Grüße von der Insel :-)

    • Beve

      PS, als der Tukan kam, schlief mein Foto. Den zweiten habe ich nur von unten. Wenig attraktiv :-)

  2. Kid

    Ein Ort, der sich verändert. Durch die, die das suchen, was diesen Ort ausmacht. Ein Preis, den nicht nur Orte für Popularität zahlen, sondern zuweilen auch Menschen.

    Das bringt mich zu dem Gedanken, dass ich dir (und deinen beiden Büchern) einen kommerziellen Erfolg wünsche, den sie wahrscheinlich nie haben werden. Und vielleicht ist das gut so, möglicherweise sogar eine Gnade. Oder auch nicht, weil du selbst mit viel Kohle und massenhafter öffentlicher Anerkennung kein anderer werden würdest.

    Und so komme ich zu dem nächsten, schönen Gedanken: Du wirst von dieser Reise verändert zurückkehren, doch für die, die dich kennen, weiterhin vertraut sein.

    Es gibt viel an dir, das ich sehr mag, Beve. Du erzählst und schreibst nicht für den Beifall anderer, sondern einfach so, wie du die Dinge siehst und die Welt erlebst. Und weil du deinen eigenen Kopf und deine eigene Sicht hast, könnte die Gefahr groß sein, selbstgerecht und selbstgefällig zu werden, doch du bist es nicht: „Wäre ich 25 Jahre jünger, so würde ich diesen Ort lieben, jetzt betrachte ich ihn mit der illusionären Weisheit des Alters. Wer hier einen Drink oder anderes zu sich nimmt, bezahlt den Hippy spirit etwas teurer als an anderen Orten.“

    Ich danke dir. Für vieles. Und heute besonders für die Geschichte mit der Muschel und für die vielen kleinen Details, die nur von dem Menschen wahrgenommen werden, der seine Nase nicht über die anderen erhebt. Weil er begriffen hat, dass er ein Teil ist. Von allem.

    Namaste.

    • Beve

      Danke dir lieber Kid, treuer Begleiter. Auf die Idee, dass sich meine Bücher massenhaft verkaufen könnten, nin ich schon lange nicht mehr gekommen. Es wäre gut für die Rente. Selbstgerechtigkeit fällt mir schwer, da ich jeden Tag mit eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert werde, hier, aber auch zuhause. Aus meiner Froschpers pektive bräuchte ich eine lange Nase, um sie oben zu tragen :-)

      Namaste.

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