Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Atomkraft? Darauf einen Aperol.

Pia meinte neulich, dass (wenn es nicht so grausam wäre) die Schlagzeilen der Katastrophe in Japan auch auch auf die Eintracht zutreffen könnten. Und tatsächlich, selbst auf die Schnelle finden sich die Überschriften. Hier, hier und hier könnte es auch um die Eintracht gehen.

Das Schöne ist ja: Japan ist weit weg. Da lässt sichs trefflich leben. Doch im Gegensatz zur Guttenbergdebatte fehlen erstaunlicherweise die Facebookaktionen der Kernkraftbefürworter; so ein sattes Fukushima- I like gepaart mit einem Kopfhochjungsdaswirdschonwieder und bei uns kommt der Strom aus der Steckdose, das hätte doch was. Jetzt für Kernenergie demonstrieren, das würde mir Respekt abnötigen. So aber bin ich abermals erschüttert (wenn man das so salopp sagen darf) über den gnadenlosen Populismus unserer Volksvertreter. Wenns drauf ankommt, ziehen sie den Schwanz ein. Atomkraft ist jetzt doch irgendwie gefährlich. Mach Dinger. Das Tragische ist sicherlich das Desaster in Japan; das Trübe jedoch die Augenscheinlichkeit der bigotten Verlogenheit der Mächtigen. Und wir? Wir sind in der Masse einfach nur doof. Ehrlich, das Bremsen vor dem Zebrastreifen lohnt nicht mehr. Früher hatten wir Angst vor Amokläufen, heute bin ich mir da gar nicht mal so sicher. Natürlich nicht, solange man nicht selbst zum Opfer wird. Hieß es früher noch: Ohje die armen Kinder, folgt doch heute der Reflex: Oh, dann kommt der kleine Alfred ja in eine kleinere Klasse, wir hatten schon überlegt, ihn in eine Privatschule zu schicken.

Vor zehn Jahren habe ich mal auf einem Flohmarkt einen dieser gelben Aufkleber gekauft – damals dachte ich, ich hätte den letzten seiner Art erwischt – heute radeln selbst Achtjährige mit der gelben Sonne durch alternative Stadtteile, die im Grunde gar nicht mehr alternativ sind, sondern kernsaniert und teuer. Saßen wir früher in dicken Jacken auf Bierbänken und tranken Apfelwein, so glüht heute bei 20° mindestens ein Heizpilz während die Hälfte der Getränke kaum aussprechbar ist und Bierbänke nicht mehr ins Stadtbild passen. Das ist urbane Lebensqualität. Da sitzen Menschen, die nehmen ungeniert das Wort Äppler in den Mund und friemeln ein sündhaft teures Telefon aus der Jacke, als gelte es sich die Notwendigkeit des Besitzes unter Beweis zu stellen, wenn man sie nach dem Weg fragt. Früher wusste man so etwas. Und dann kommt einer der meistgehörten Sätze der letzten Jahre: Oh, mein Akku ist leer. Ich sage dann immer: Das sehe ich. Und bei deinem Handy?

Während sich also die Sensiblen furchtbar um die Opfer des Tsunamis grämen, die empfindlichen Frankfurter wenigstens um das Schicksal der Eintracht besorgt sind, so werden im Frankfurter Nordend Debatten um das Verhalten von Mütter und Kinder in Cafés geführt. Bei einem Aperol; so eine Art 1899 Hoffenheim unter den Getränken. Das ist die Folge der Gentrifizierung, völlige Selbstverständlichkeiten werden durch einst politische Blätter wie die Rundschau aufgeblasen und das Kommentarvolk müllt das ganze Internet mit Worten zu. Mit dem Laptop im Café, wofür Ruhe gebraucht wird. Das sind die gleichen Leute, die in den schönen Altbauwohnungen wohnen, dafür 2000 Euro Miete bezahlen und sich wundern, dass sich das Viertel ändert. Die sehen ja alle aus wie ich.

Jeder hat eine Meinung, das war schon immer so, heute aber kann man sich vor lauter Meinung aber gar nicht mehr wehren. Nehmen wir doch mal die Debatte um das Café Sahnesteif, im Frankfurter Nordend, welches scheinbar aus gegebenem Anlass auf einem Zettel dezent darauf hinwies, dass sich Eltern um übertrieben tobenden Nachwuchs kümmern mögen. Klar, Kinder müssen die Grenzen gesetzt bekommt, die man als Erwachsener überschreitet – wenn niemand mehr guckt. Bevor man es jeden Tag drei Mal sagen muss, hängt man halt einen Zettel auf. Im Ergebnis lässt sich sagen, dass Erwachsene mit Kindern mehr Verständnis für Erwachsene mit Kindern entwickeln als Erwachsene ohne Kinder – aber dennoch die meisten der Ansicht sind, dass Kinder nicht auf Marmorkuchen gewickelt werden sollen. Bahnbrechende Erkenntnisse. Weiter scheint es so, dass Kinderfreinazis jetzt erst recht ins Café gehen und Kinderhabnazis den Laden boykottieren wollen. Doch man weiß ja, was von solchen Ankündigungen zu halten ist: Im End werden die gleichen Leute kommen, wie vorher auch. Es wird sich nichts ändern. Dazu gibt es immer solche, die auf Grund eines einfachen Zettels mit einem gutgemeintem Hinweis einen Aufruf zum Kinderverbot herauslesen und ganz hysterisch glauben, schlechte Menschen entdeckt zu haben. Solchen Leuten sage ich dann immer, dass Hitler ja auch mal klein war und man das nicht so pauschal sehen darf. Dann gucken sie ganz böse. Auf der anderen Seite war man selbst ja auch mal jung – und hat sie gehasst, die Erwachsenen. Daran hat sich übrigens bei mir bis heute nichts geändert.

17 Kommentare

  1. Stefan

    „Bei einem Aperol; so eine Art 1899 Hoffenheim unter den Getränken.“

    LOL – sorry dass ich lache, aber dass hat meinen Tag gemacht.

    • Beve

      lachen, was sonst. und hoffen, dass der schmerz nicht näher kommt.

  2. ThorstenW

    Sehr schön Axel :-) endlich mal ein kleines Lächeln auf meinen Lippen an diesen tristen Tagen im Frühjahr 2011 – ja ausgerechnet 11 !

  3. rotundschwarz

    Prenzlauer Berg ist überall.

    Exakt das gleiche Foto habe ich gestern in Frankfurt (aber offensichtlich an anderer Stelle? in der Kaiserstraße) zum Verschnipseln gemacht. Da war der Igel also schon da. So ein Netz aber auch *g

    World has gone wrong. Yep.

    Lg von K (die bis eben noch gar nicht so genau wusste, was Aperol ist, zwar keine Nordendmama ist, aber trotzdem manchmal gerne am Prosecco nippt, gelegentlich im Internet mitmüllt, und in letzter Zeit häufig mächtig ,-) unter Strom steht, ganz ohne Akku).

    PS: Früher haben wir nicht nur ohne Heizpilz draußen, sondern sogar mal IN der Kneipe gesessen und geraucht. Sachen gibt’s.

  4. Beve

    thorsten, in diesen zeiten ist man dankbar für die 11. IN der kneipe rauchen, das gibts sogar noch rotundschwarz. im backstage zum beispiel, das ist auch im nordend. es gibt also noch nischen. blöderweise rauche ich nicht mehr – aber das nehme ich mir nur selbst krumm.

    ich sach euch, wenn der strom ausfällt lachen die über uns, die eben noch die uncoolen handys hatten. und dass er von jetzt auf gleich ausfallen kann, sehen wir grad.

    fotos dieser art habe ich übrigens auch hier entdeckt.

  5. Schnellinger

    „Das sehe ich. Und bei deinem Handy?“
    Klasse. Da hab ich heute das erste Mal seit Tagen laut gelacht.
    Ansonsten bleibt mir das gerade eher im Halse stecken während in einem Tempo Reaktorblöcke ausfallen wie sonst nur Spieler der SGE im Training.

    Und das Nordend hat mich ob seiner merkwürdigen Bevölkerungsstruktur schon vor 20 Jahren als ich noch dort wohnte irgendwie genervt. Da ist mir jeder so called ‚Problemstadteil‘ mit vielen Migranten und Alten lieber, da geht es normaler und entspannter zu.

  6. rotundschwarz

    Danke für den Link, der dann ja auch gleich die Erklärung für die Plakate liefert. Fein.

  7. Beve

    jaja, das nordend. ich bin da geboren – da sah es noch ganz anders aus. das weiß ich aber nur durch bilder; da war nichts saniert, da wohnten die ausländer. dann kamen die studenten aus denen lehrer wurden und zudem noch die, die keinerlei subkultur lebten, aber die attitude für sich beanspruchen. die, die sagen, es ist doch gar nicht so teuer, wir können es bezahlen. die, die nicht nur in sanierten wohnungen leben, sondern in luxussanierten. aber es gibt noch immer nischen, die klasse sind. dennoch bevorzuge ich bornheim, obere berger. unten sind mir zuviele läden, die keine preisschilder im schaufenster haben.

  8. Fritsch

    Eine Meinung haben, die vielleicht etwas über das selbst Erfahrene hinausgeht ist dem Yuppie fremd. Die eigenen Wurzeln zu kennen ist für Menschen, die umziehen, weggehen und ankommen wichtig. Grenzen zu kennen, ist eine Stilfrage. Trifft das alles nicht zu, schwimmt man im eigenen Suppenteller. Trifft das alles nicht zu funktioniert Gentrifizierung ganz hervorragend. Immer. Überall.

    Genauso fliegen einem überall auf der Welt irgendwann Atomkraftwerke um die Ohren. Diejenigen, die damit eine Menge Geld verdient haben, sitzen dann in luxussanierten Wohnungen & Villen. Der Rest bezahlt halt.

    Und so nehme ich meine Kamera, halte fest was ich sehe & was sich verändert. Am Ende immer wieder bei Konstantin Wecker landend: Willy, man muß weiterkämpfen, kämpfen bis zum Umfallen, auch wenn die ganze Welt den Arsch offen hat, oder gerade deswegen.

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

  9. stadtkindFFM

    Hallo & Danke für die Verlinkung in den Kommentaren :)

    Der Vergleich mit dem guten Aperol und Hoffenheim stößt mir etwas auf- also nicht wg. dem Sohn seiner Mutter seinen Verein, sondern weil das Getränk seit zig Jahren in Italien ein ganz anderes Dasein fristet- beliebt, aber 08/15. Wunderte mich, als das vor allem letzten Sommer hier plötzlich so hip wurde- selbes gilt für die Polenta, immer gern genommen bei Kochshows & bestimmt in Ffm bei den feineren Restaurants und denen die denken, die eines wären, anzutreffen.

    Diese so oft in den Medien erwähnte Gentrifizierung im Nordend und vielleicht auch in Bornheim nehme seit fast 20 Jahren wahr- wirklich nichts Neues. Allerdings muß man leider dieses Thema auch auf das Ostend ausweiten, ich denke das wird dort mit Entstehen der EZB noch viel mehr Umkrempeln und den selben Verlauf nehmen wie hier im Nordend- vielleicht sogar im zügigerem Tempo.

    Alle wollen in die citynahen Viertel und vertreiben die Alteingessenen, die diese Viertel überhaupt erst zudem gemacht haben, was sie so beliebt gemacht hat. Im NORDend-Magazin kam ein ganz guter Artikel über dieses Thema.

    Früher war Ffm mehr Ökoschlunz, heute ist es mehr so Yuppief—e. Und das sich das heutzutage nicht mal mehr zwangsläufig gegeneinander ausschließt, ist das eigentlich Traurige- nämlich die Entwicklung dieser Stadt.

    PS: Den Begriff Nordendmama haben die bei der FR übrigens abguckt. Nur mal so. *o tempora o mores*

  10. Beve

    ja kerstin, die erklärung schmälert natürlich das ereignis. wenn sich die reklame der straßenkunst bedient, ist die straßenkunst am friedhof angekommen. das ging vielem schon genau so. irgendwann wird die reklame dies vergessen, dann kann man weitermachen. punk, techno – vom underground zum mainstream zum markt zum underground.

    fritsch, der rest bezahlt halt. genau so ist das. und es ist gut, dass du deine kamera dabei hast. kämpfen, bis zum schluss. so ist das.

    hey stadtkind, sorry für hoffenheim/aperol – aber der likör kann nichts dafür, dass er symbolhaft zu sehen ist; quasi die fortsetzung des perlschaumweins.

    die gentrifizierung im nordend ist sicher schon lange im gang, als die wohnungen noch kohleöfen hatten, lebte die kohleöfenklientel herinnen – bis heute, wo die autos breiter als die straßen sind und auch der ökoschlunz sich den wohnraum nicht mehr leisten kann.

    im ostend wird der ökoschlunz direkt übersprungen. da gehts direkt vom ausländer nach yuppietown – allerdings ökologisch einwandfrei. alleine die neu zu bauende brücke über den main lässt mir die zornesröte ins gesicht treiben. aber was will man von einer stadt erwarten, die als wahrzeichen ein euro-zeichen am theaterplatz präsentiert. schwarz-grüne wirklichkeit.

    viele grüße

    beve

  11. Jason

    Axel, wenn der Anlass nicht so niederschmetternd wäre, würde ich mir ein Loch in den Bauch freuen über Deine wie immer treffenden Worte.

    Vielen Dank, wie Stefan bringt mir die Aperol/1899-Sache ein Lächeln auf die Lippen!

  12. Katja K.

    Den merk ich mir: „Oh, mein Akku ist leer. Ich sage dann immer: Das sehe ich. Und bei deinem Handy?“

    Abgesehen davon: sportliche Verknüpfung von Tsunami, Atomkraft, Generationen-Konflikt und „Macchiato-Mütter-Bashing“ – Respekt für die Kurven, die Du da drehst. ;-)

    Zum Merkelschen (angeblichen) Meinungs-Umschwungs-Gau, da gebe ich Dir Recht in Sachen Populismus – wenngleich mir auch dieser Winkelzug am End‘ egal wäre, so lange sie den Scheiß endlich abschalten. Eine ganz, ganz kranke, nachgerade verseuchte Volte dreht diesbzgl aber dieser Mensch hier: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,750759,00.html

  13. Beve

    den habe ich schon lange auf dem kieker, möchte ihm aber derzeit nicht mehr aufmerksamkeit als nötig geben. das ist einer, da muss der schlag richtig sitzen, damit ruhe ist. unfassbar, was sich spon da leistet.

  14. kreuzbuerger

    man sollte fleischhauers namen ihm gegenüber vor allem habitisch würdigen.
    sehr schöner text, die nordendbeschreibung erinnert irgendwie an den bergmannkiez. die nischen werden kleiner…

    schöne grüße
    andi

  15. Beve

    schnellinger, mir dünkt, die darsteller baruchen keinen journalismus. journalismus. auch wenn er nicht objektiv sein kann, wägt ab.

    andi, recht hast du. aber: der kampf geht weiter :-)

    viele grüße

    beve

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