Dass ich am Morgen nach dem Spiel nicht taufrisch war, liegt auf der Hand, ich brachte zunächst kein Wort raus. Und das Erlebte war wirklich wahr. Pia konnte es bestätigen: FC Barcelona vs Eintracht Frankfurt 2:3. Auswärtssieg. Halbfinale. London.
Der gestrige Abend war sicherlich einer der krassesten, den ich je mit der Eintracht erlebt habe. Ich denke, das dürfte allen so gegangen sein, die das Spiel vor Ort verfolgt und zelebriert hatten. Es ist ja eigentlich absurd, ein paar Buben in kurzen Hosen, ein Ball – und Tausende drehen durch. Aber im Irrsinn der Welt, in einem Alltag, der uns oftmals verzweifeln lässt, gibt immerhin dieses Schlupfloch Fußball oder besser: Eintracht Frankfurt.
Gegen 11 Uhr kehrten wir zurück auf die Straße, frühstückten und machten uns dann auf den Weg nach Castelldefels, gute 20 Kilometer von Barcelona entfernt, aber lässig mit der Metro erreichbar. Karfreitag 2022, Menschen trieben durch Raum und Zeit, Touristen, Händler und natürlich Massen von Eintrachtfans in ihrer Glückseligkeit. Die Sonne strahlte mit uns, auf dem Kopf den bunten Hut von neulich, sausten wir vom Plaça de Catalunya zum Bahnhof Sants. Von dort sollte es in wenigen Minuten nach Castelldefels gehen, doch die Bahn hatte Verspätung und so nahmen wir den späteren Zug und rollten stehend an die Küste. Mittlerweile trudelten die ersten Reaktionen auf den gestrigen Abend ein – und es schien, dass wir den großen FC Barcelona in allen Belangen bis ins Mark erschüttert hatten: die Masse an Eintrachtlern im Camp Nou, die grandiose Unterstützung, der Sieg, wirkte tiefgreifend nach. Präsident Joan Laporta geriet in Erklärungsnot, die Blaugrana waren außer sich. Das Echo verheerend. Dabei war die Sache ganz einfach. Barca lebt auch von den Touristen im Stadion, schon immer waren Karten im freien Verkauf erhältlich. Nur diesmal kamen keine Touristen. Diesmal kamen echte Fans. Und sie hatten ihre Karten weder gestohlen noch ergaunert. Sie hatten sich die Tickets schlicht und ergreifend gekauft.
Da unsere Kollegin Pauline samt Vater und Schwester sich ebenfalls auf den Weg nach Castelldefels aufmachte, lag ein Treffen nahe – doch zunächst erreichten wir den Ort nach einer halben Stunde und wanderten durch die Sonne ans Meer, um uns an den Strand zu legen, zu chillen und den Gedanken nachzuhängen, Gedanken an den gestrigen Tag. Und die Nachrichten überschlugen sich. Schon war klar, dass sich das Ticketprocedere beim FCB ändern würde, nur noch personalisierte Karten sollen fürderhin ausgegeben werden – schlecht für die Touristen, für den Souvenirverkauf und für den Fußball, der ja nicht nur Geschäft ist, sondern Emotion und Leidenschaft. Das Spiel war ja nicht ausverkauft. Hätten sie uns wie damals in Mailand einfach mehr Tickets gegeben, hätten wir alle beisammen gestanden und getrunken und die Barcelonesen hätten ihre Bereiche besetzt und nicht die ganzen Eintrachtler unter sich ertragen dürfen. Aber sie hatten uns in ihrer Arroganz unterschätzt. In Mailand waren auch 15.000 von uns im San Siro. Und niemand hat trotzt der Niederlage Inters geweint.
Wir lagen am Strand, ich schlummerte sanft dahin, die Wellen wogten milde. Ein Tag am Meer. Urlaub. Und reger Betrieb allenthalben. Kinder plantschen in den Wellen, Sonnenschirme wurden ausgepackt, Selfies geschossen – bis wir uns mit Pauline zusammen telefonierten. Während wir am Ausgang 28 lagen, hatte sie ihr Lager bei Ausgang 09 aufgeschlagen. Nach einer entspannten Weile brachen wir auf, wanderten am Wasser entlang, leichte Wellen umspülten die nackten Füße, und wunderten uns, wie sie an den dann doch recht weit entfernten Platz gelangen konnte. Die Antwort war einleuchtend: Es gibt noch eine weitere Haltestelle vor Ort. Platja Castelldefels.
Bald hatten wir den Ausgang 09 erreicht, Pauline winkte schon von weitem, sie kickte fröhlich am Strand, eine Tätigkeit, die mir heute schwer gefallen wäre. Nach großem Hallo machten wir uns auf die Suche nach einer Strandbar, wurden fündig und verbrachten einen schönen Nachmittag bei Burger, Stangeneis und Pommes. Dann brachte uns die Bahn wieder zurück in die Stadt. Und wir konnten während der ganzen Fahrt sitzen, die Woche forderte langsam ihren Tribut.
Abends wanderten wir durch Raval, Pia ergatterte in einem Vintagestore noch zwei bunte Sommerkleidchen – aber leider war das Restaurant, in dem wir am Mittwoch so trefflich bewirtet wurden, überfüllt, so suchten wir ein anderes Plätzchen – bis wir Olli und Mitch mit Tangogenossen an den kleinen Ramblas trafen. Wieder ein großes Hallo, Anschließend Paellea und Canas, Alex und Kathrin stießen noch zu uns, während der Rest unserer munteren Gruppe sich wieder auf dem Weg in die Heimat befand. Endlos wurde der Abend nicht, aber entspannt und so schlichen wir rechtschaffen müde zurück ins Hotel.
Am nächsten Morgen quollen die Nachrichten über, noch immer war der Auftritt der Eintracht samt ihres Anhangs das große Thema. Die Gazetten brachten uns auf die Titelseite, Präsident Laporta geriet weiter unter Druck und wir konnten es nicht fassen, was wir hier angestellt hatten. Eben noch in Nürnberg dem Abstieg von der Schippe gesprungen, dann der Pokalsieg, die Auftritte in Rom, Charkiw, Mailand oder London – und jetzt den FC Barcelona dekonstruiert. Eintracht Frankfurt international!
Nach dem Frühstück schlenderten wir an den Hafen, besorgten uns etliche Tageszeitungen zum vorgestrigen Spiel, nahmen die Bahn Richtung Paral-Lel, und fuhren mit der Seilbahn noch einmal hoch zum Piscina Municipal de Montjuïc, dem Ort, dessen Atmosphäre und Ausblick uns am ersten Tag so fasziniert hat. Wir blickten gedankenverloren über die Stadt, die wir nach sechs Tagen so viel besser einschätzen konnten, währen sich unten am Sprungturm Athlethen der Gymnastik hingaben. Anschließend spazierten wir hoch in die kleine Wirtschaft, futterten Bocadillos und betrachteten das Treiben. Von dort marschierten wir runter in das Viertel El Poble-sec. Bar an Bar reihte sich in den pittoresken Gassen, während weiter hinten rund um unser Hotel mächtig Betrieb war. Ostersamstag in Barcelona. Pia besorgte sich noch ein paar Mitbringsel, dann trieben wir wieder Richtung Meer. Ein Mittelaltermarkt bot allerlei Tand, während eine junge Frau, geschminkt wie ein Pierrot, uns an einer Kreuzung zum Lachen brachte, da sie kurzerhand den Verkehr regelte und die Sache im Griff hatte, bis sie Poizisten sah und in der Menge verschwand. Später entdeckte wir sie erneut in der Menge und Pia drückte ihr ein paar Münzen in die Büchse, eine kleine charmante Schauspieleinlage des Dankes war ihr gewiss. Alsbald schlummerten wir am Strand von Barceloneta bzw am Platja del Somorrostro, Deckenverkäufer machten ihr Geschäft, die Bässe von den Strandbars wummerten einschläfernd ins Gehör.
Ein letzter Weg im Sonnenlicht führte uns noch einmal in den Parc de la Ciutadella, der nun recht überfüllt war, Kinderaugen leuchteten beim Seifenblasenmann, ein finaler Blick auf den Arc de Triomf, ein letzter Weg über Plätze an Kathedralen vorbei durch das gotische Viertel. Eben noch war alles neu und unbekannt, jetzt kannten wir uns aus – und verliefen uns doch immer noch, nur um kurz darauf wieder auf dem richtigen Weg zu sein. In einem Bistro gönnten wir uns noch eine Pause, das Tomatenbrot bestand aus Brot, einer Tomate, einer ungeschälten Knoblauchzehe und einer Flasche Olivenöl – und es war das beste, das wir hier bekamen. Im Hotel packten wir unsere Habseligkeiten zusammen, dann ging es zum Abendessen wieder nach El Poble-sec, vorbei an der London Bar, in der wir so schön zusammen gesessen hatten. In der Carrer del Blai wurden wir nach einigem hin und her auch fündig, futterten Tapas bei Bier und Wein, derweil ich ein einziges Mal leichtsinniger Weise mein Handy auf dem Tisch liegen ließ und sofort von der freundlichen Bedienung auf meinen Lapsus hingewiesen wurde. So gut hatten wir auf all unsere Sachen aufgepasst – und doch kommt immer wieder ein unbedachter Moment, der dir auf Grund eines Diebstahls den Abend hätte ruinieren können. Aber, soviel sei vorweg genommen, für uns ging am End alles glatt. Nach einem Absacker im Bahia, dort, wo wir des Nachts vor einer Woche unser erstes Bier getrunken hatten, nahmen wir auch unser letztes. Fünf Minuten später landeten wir im Hotel, packten unsere Siebensachen für die morgige frühe Abreise und legten uns ein letztes Mal in Katalonien zur Nacht.
Früh um Fünfe klingelte der Wecker, eine dreiviertel Stunde später zogen wir in den beginnenden Tag, wurden Zeuge eines Diebstahls auf offener Straße und saßen zehn Minuten später im Aerobus A1, der uns zum Airport brachte. Der Mann am Sicherheitscheck erkannte uns am Adler auf der Brust und gab zu erkennen, dass er als Fan von Barcelona noch immer sauer ist, die Stewardessen hingegen freuten sich mit uns über den Auswärtssieg und pünktlich hoben wir ab, flogen über Meer und Alpen – und ehe wir uns versahen, hatten wir wieder Frankfurter Boden unter den Füßen. Kurz trafen wir noch Nina, die wir im Flieger gar nicht gesehen hatten und machten uns dann auf zur S-Bahn, die auf die Minute genau anrollte.
Wir laufen den sonnigen Weg von der S-Bahn Haltestelle Stadion hoch zur Wintersporthalle, es ist Ostersonntag, die Parkplätze sind wegen der Osterurlauber, die ihren Wagen hier ob des nahen Flughafens geparkt haben, nahezu alle belegt. Nicht jeder Rückkehrer wird sich freuen. An zwei sündhaft teuren Mercedes fehlen die Scheinwerfer. Geklaut.
Wir jedoch konnten unseren Dacia in der Tiefgarage im Stadion parken – aber die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand an unserer Kiste Teile demontiert, ist wirklich gering. Eher legt noch ein Mitleidiger etwas dazu. Da der Eingang am Gleisdreieck wider Erwarten geschlossen hat, kommt uns Pauline vom Eintracht-Museum mit einem mächtigen Schlüsselbund entgegen. Vor zwei Tagen saßen wir noch zusammen in einer Strandbar in Castelldefels, 20 Kilometer von Barcelona entfernt. Aufgebrochen sind Pia und ich eine Woche zuvor. Zum Auswärtsspiel der Eintracht im Camp Nou gegen den großen FC Barcelona. Was dann geschah, lässt sich in Worten kaum schildern. Ich versuchte es dennoch – und dies war unsere Geschichte, erzählt mit heiserer Stimme.