Ein warmer Sommertag, gemütlich spazieren wir an der Dreisam entlang – und in der Höhe erhebt sich der Schwarzwald. Am Wasserhäsuchen noch ein Road-Beer, um später im Gästeblock nichts vom Spiel zu sehen. So war es früher einmal beim Fußball in Freiburg. Heute ist dies anders.
Pia und ich hatten die Tickets für das Auswärtsspiel in Freiburg schon recht früh geordert. In den Tagen danach schossen die Covid-Infektionszahlen in ungeahnte Höhen, so dass uns leise Zweifel kamen, ob diese Auswärtsfahrt wirklich eine gute Idee ist. Da uns zwischendrin jedoch die Auffrischungsimpfung begegnete, die Veranstaltung draußen ist und wir bei allen anderen Auswärtsspielen dieses Jahr oben im Stehblock genügend Platz hatten, gingen wir die Sache an. Außerdem war ich neugierig auf das neue Freiburger Stadion. Dass Heike und Frank mitkamen, rundete die Angelegenheit ab.
Pünktlich um 9:20 Uhr holt uns Heike ab, ich besorge mir noch ein Päckchen Tabak – dann geht es weiter zu Frank, um anschließend an einem grauen Sonntagmorgen auf die Autobahn zu rollen. Neblig ist’s‘s in den Hügeln des Odenwaldes, viel Verkehr nicht unterwegs, wir verquatschen die Zeit, tanken in Lahr, kommen gut durch und befahren in Freiburg Neuland. Erstmals spielt die Eintracht im neuen Stadion an der Messe, da müssen wir uns selbst ob der Begebenheiten vor Ort erst einmal schlau machen. Nah der Messe wird es öde, LKWs parken am Straßenrand und die ersten Freiburger spazieren Richtung Stadion, erstaunlich ob der frühen Uhrzeit und der Kälte. Wir tasten uns vorsichtig Richtung Parkplatz, derer es einige gibt. Kurzerhand entscheiden wir uns, wenige Meter vor der Endhaltestelle der Straßenbahn zu parken – doch wirken kostenfreie Parkplätze in Freiburg höchst verdächtig. Tatsächlich, ein kleines Schild verweist auf LKW-Parkplätze, so switchen wir kurzerhand um und stellen uns auf den Park-und-Ride Parkplatz unmittelbar daneben – und wir tuen gut daran. Ein vorbeikommender Freiburger erzählt uns, dass sie genau an dieser Stelle vergangene Woche abgeschleppt hätten. Richi kommt vorbei und auch ihn bewahren wir vor einem optionalen Drama.
Anschließend zöckeln wir mit der Straßenbahn in die City, drehen unsere Runde ums Münster, sehen den nebligen Schwarzwald, wasserleere Bächle und geschlossene Wirtshäuser. Der Weihnachtsmarkt hat ob des Totensonntags ebenfalls geschlossen, was einen musizierenden Indiojungen nicht davon abhält, fröhliche Weisen zu intonieren. Da die Zeit für einen ausgiebigen Restaurantbesuch zu knapp wird, machen wir uns gemächlich auf den Rückweg, ergattern in der Bahn, die an jeder Station immer voller wird, noch einen Sitzplatz, bis wir über die Uni das Stadion erreichen. Messe, Flughafen, Stadion, Parkplätze, Beton. Wir könnten hier auch in Mainz oder Augsburg oder Sinsheim sein. Rote Busse stehen in Reih und Glied und warten auf etwas, der Beton ist abwaschbar, klinisch, und Menschen wandern Richtung Stadion, ein seelenloses Etwas am Rande der Welt. Gelbe Leuchtbuchstaben verkünden den Namen. Europa Park Stadion. Rein theoretisch gibt es keinen Grund, an diesem Ort zu sein. Außer natürlich Eintracht Frankfurt.
Wir marschieren Richtung Gästeeingang, der Einlass ist brauchbar organisiert, erst erfolgt der Impfcheck, anschließend wird abgetastet, dann der Ticketcheck. Geht schnell und ohne Gedrängel. Immerhin – und einen reinen Fraueneingang hat es auch. Drinnen gibt es erst einmal eine Wurst, die, als ich sie erhalte, eiskalt ist. Der Stehblock ist unten und ziemlich klein und über Gebühr schon 30 Minuten vor Anpfiff gefüllt – viel zu voll für meinen Geschmack, für Corona-Zeiten sowieso. Masken sind eher selten, ein „Oben“ gibt es quasi nicht und ich erspähe keinen für mich akzeptablen Platz. Letztlich werden wir bei den Rolli-Fahrern, die in überschaubarer Anzahl vor Ort sind, hinter den Stehplätzen halbwegs fündig. Durch den Treppenaufgang im Rücken steht niemand hinter uns – dennoch saust meine Laune Richtung Kölner Keller. Der Stehblock wird erst recht ein Spaß, so eines Tages der Zaun voller Banner hängt und fünf Schwenkfahnen 90 Minuten durch geschwenkt werden. Heute ist es nur eine – und alleine die geht mir auf die Nerven. Zudem ist es kalt.
Kurz und gut, ich hasse alles und frage mich, weshalb ich nicht bei einer Tasse Tee auf dem Sofa liege, ein Stückchen Schokolade dazu. Dann sehe ich Pia, Heike und Frank – und denke mir alles wird gut, zumal ich mich auf einen einzelnen Sitz direkt vor mir stelle und der Platz über mir gerade so reicht. Außerdem trage ich die Gewissheit in mir, dass die Eintracht heute gewinnt. Zur Sicherheit habe ich für Freiburg getippt. Dann geht‘ los, die Eintracht in schwarz, Freiburg in rot. Das Stadion selbst sieht aus wie ein Stadion, recht groß die Heimtribüne, Petersen spielt nicht und Hinteregger auch nicht. Und während ich noch so vor mich hingrummel, zoppelt es an meiner Jacke. Als ich nicht reagiere, zoppelt es stärker, bis ich ein bisschen den Halt verliere. Denke noch, da begrüßt mich jemand aber aufdringlich, bis ich einem Ordner ins Auge blicke, der mich halb vom Stuhl zieht. Anfassen geht gar nicht, also zack auf 180. Pia hängt an mir und nicht nur sie, ich tobe noch ein bisschen, der Ordner besinnt sich und bevor die Sache eskaliert, vertragen wir uns einvernehmlich. Feisal drückt mir ein Bier in die Hand und alsbald kehrt Ruhe ein. Ich verbiege meinen Kopf, um die Fahne zu umblicken, Freiburg macht das Spiel – und die Eintracht ein Tor. Menschen fallen übereinander, ich ducke mich weg. High Five und die gabllte Faust muss reichen. Lindström wars gewesen. Dann fluppt noch ein Kostic-Freistoß zum 0:2 kurz vor dem Pausenpfiff ins Netz. Halbzeit, die Eintracht führt. Ich werde milder.
Ich gehe zum Fußball, um die Zeit um mich herum zu vergessen, eins zu werden mit dem Spiel. Supporten, Verzweifeln, Leiden und Jubeln. Aber nicht, um 45 Minuten rumzudenken. Immerhin, wir steigern uns in die zweite Halbzeit rein, das Gefühl kommt – und irgendwann bin ich drin. Vergesse alles, fokussiere mich aufs Pöbeln und Singen. Die Eintracht steht unter Druck, Freiburg fehlt das Torglück zum Glück, und so ballern wir uns mit Glück und Verstand in die letzten Minuten. Einem Freibuger Treffer würde todsicher noch der zweite folgen, doch da der erste nicht fällt und der Schri irgendwann abpfeift, bleibt es beim 0:2. Vorher sangen wir noch „Im Herzen von Europa“, jetzt brüllen wir „Auswärtssieg“, feiern die Mannschaft und machen uns vom Acker. Meine Hände sind zu kalt, um zu drehen, wir marschieren mit vielen anderen Richtung Messe, bleiben zuweilen stehen, weil irgendwo vorne eine Bahn einen Übergang passiert, quetschen uns zwischen den Zäunen hindurch und landen nach einer Weile am Auto. Gott, was war das für ein wichtiger Auswärtssieg. Dafür stehen wir gerne eine gute Stunde auf dem Parkplatz, so wirklich viel bewegt sich nämlich nicht. Insgesamt ein sehr überschaubares Konzept für ein nagelneues Stadion. Dann geht es schließlich überraschend flott weiter. Wir entscheiden uns, nicht Richtung Autobahn zu fahren (dort geht es eher zäh vorwärts), sondern Richtung Zähringen. Das geht wesentlich fixer, zumal ich aus Versehen (Ehrenwort) auf der Busspur lande, den kleinen Stau an der Ampel überhole, als ich es merke, mich ganz vorne einordne und noch ehe der Hintermann „Füchsle“ sagen kann, bei Grün schon wieder weit vorne liege. Manchmal muss man nur auf Zack sein. Also eigentlich immer.
Heike hat derweil ein griechisches Restaurant ausbaldowert, welches wir in wenigen Minuten erreichen und sogar einen Parkplatz vor Ort finden. Es macht einen gemütlichen Eindruck, für uns wird sogar noch trotz Vollreservierung Platz geschaffen und alsbald sitzen wir bei Spezi (ich) und Ouzo (alle anderen) und sind zufrieden. Souvlaki, Bifteki und Gyros wird aufgetischt, die Bedienung ist ausgesprochen unprätentiös freundlich und wir sind höchst zufrieden. Mit gefülltem Ränzlein verabschieden wir uns und tuckern durch die dunkle bald regenfeuchte Nacht. Im Auto ist es ruhig, die Scheibenwischer schwappen stoisch über die Scheibe. Lahr, Offenburg, Baden Baden, Mannheim, Darmstadt. Gute zwei Stunden später sind wir wieder in Frankfurt und rollen über die Miquelallee Richtung Eschersheim. Nach weiteren 10 Minuten verabschieden wir uns und nach noch weiteren 10 Minuten liege ich im Bett. So bald zieht mich eher wenig nach Freiburg, aber Unterwegssein ist dann doch immer schön. Man erlebt ja immer was, auch wenn wegen des verfickten Virus das alles nicht wirklich klasse ist. Aber die Erinnerungen bleiben. Und die Hoffnung. Auswärtssieg!