Etwas überraschend kam sie schon, die Meldung, dass zum Auswärtsspiel der Eintracht in der ersten Pokalrunde bei Waldhof Mannheim 1250 Gästefans zugelassen werden sollten. Als ein paar Tage später die Bestätigung kam und ich nur wenig später tatsächlich ein Ticket in den Händen hielt, konnte ich mir eine Träne nicht verkneifen. Erstmals seit Salzburg im Februar 2020 sollte es wieder auf Reisen gehen. Mit der Eintracht.
Die letzten Freundschaftsspiele der SGE verbrachte ich bei Dosenbier und gepflegten Gesprächen mit Freunden an der geschlossenen Bude vom Wach am Gleisdreieck, das Stadion in Wurfweite, es waren entspannte Nachmittage. Gegen Waldhof aber sickerte der Ernst der Lage durch. Anderthalb Jahre hatten wir uns durch die Pandemie bewegt, trugen Masken und Hoffnungen, gewöhnten uns an die Umstände und gewöhnten uns doch nicht daran. Irgendwann begann eine Fußballsaison, zum Auftakt gegen Bielefeld waren ein paar Tausend Zuschauer zugelassen – wir schauten das Spiel im TV, ebenso die Partie gegen Hoffenheim. Dann war Schluss mit lustig, niemand durfte mehr ins Stadion, eine Saison plätscherte vor sich hin, surreale TV-Bilder ohne Fans, am End holte sich Silva den Tor-Rekord von Bernd Hölzenbein, die Eintracht verspielte kurz vor Toreschluss die Championsleague – erreichte aber dennoch höchst souverän den Einzug in den Europacup, derweil Silva nach Leipzig wechselte. Letzteres fast egal. Aber ja. Europa. Unterwegssein. Im besten Falle.
Wie schon vor zwei Jahren hieß also nun wieder der Gegner in der ersten Pokalrunde Waldhof Mannheim. Mit seinen letzten Toren für die Eintracht verabschiedete sich seinerzeit Ante Rebic von der Eintracht Richtung Mailand – und ich verpasste seine Tore am Bierstand. Dabei hole ich so gut wie nie Bier während eines Spiels. Geschichte. Pia und ich waren zwei von 1250 Glücklichen, die nun ein Ticket für das Spiel im Carl-Benz-Stadion in den Händen hielten. Viele Fans der aktiven Szene wollen erst wieder ins Stadion, wenn alle wieder ins Stadion dürfen. Ein nachvollziehbarer Gedanke – jedoch nicht der meinige. Obgleich die, die draußen bleiben natürlich fehlen. Dafür kommen andere, alle wie sie möchten. Dinge ändern sich, die Welt verschiebt sich. Eindeutig jedoch ist, dass nichts eindeutig ist. Nostalgische Vorfreude. Pia, der Dacia und ich.
Sprit im Tank des roten Dacia, Revolte Tanzbein im Player. Digitaler Impfnachweis in der App, Maske in der Tasche. Hätte mir das vor zwei Jahren jemand gesagt, ich hätte ihn nur verständnislos angeschaut. Heute völlig selbstverständliche Realität. Wir tuckern los, holen Götz an der Bushaltestelle Ecke Miquelallee/Eschersheimer ab, dort, wo die Gründer der Eintracht oder besser der Viktoria aber auch der Frankfurter Kickers auf der damaligen Hundswiese die ersten Spiele absolvierten. Götz hatte sich die Karte hochoffiziell über Waldhof besorgt, der Rest unserer Gang fährt mit einem anderem Fahrzeug nahezu zeitgleich los. Treffpunkt: Mannheim.
Wir ziehen gemächlich über die Autobahn, wechselhaftes Wetter ist angesagt, Revolte Tanzbein singen davon, dass sie nach Panama fahren, unser Panama heißt Mannheim. Vorbei an Darmstadt, rauf auf die A67, hie und da ein paar Regentropfen in diesem Sommer, der so wirklich keiner werden will – und es ist wirklich wahr: Nach anderthalb Jahren fahren wir wieder zum Fußball. Pflichtspiel der Eintracht. Wir umrunden Mannheim und fahren über Seckenheim und den Mannheimer Flughafen ins Wohngebiet rund um die Dürerstraße nahe dem Stadion. Gepflegte Gegend, wir parken den Dacia einen Steinwurf vom Neckar entfernt – und nach wenigen Minuten rollt auch der andere Wagen ein. Wir sind komplett. Sieben Menschen mit so verschiedenen Hintergründen, sieben Menschen, die sich während der Pandemie gefunden haben – und es hätten noch ein paar mehr sein können. Zum ersten Mal gemeinsam auf großer Fahrt.
Minuten später wandern wir am Neckar entlang, bis zur Stadtmitte bzw Neckarstadt sind es gute vier Kilometer, wir haben Zeit. Die Sonne lacht nicht ganz so laut, wie es sich für einen August geziemt, aber es ist trocken. Radfahrer sausen an uns vorbei, Jogger kämpfen sich entlang des Wegs, linker Hand das Stadion, linker Hand der Fernsehturm und in der Ferne die Hochhäuser am Fluss. Ab und an paddelt ein Bootchen vorbei, später zieht ein Kahn den Neckar entlang – und wir erreichen nach einer guten Stunde die Kurpfalzbrücke. Hier war ich vor einem guten Jahr schon einmal, hab mich mit Pauline getroffen, unserer Museumskollegin, die in Mannheim lebt. Damals war an Fußball nicht zu denken. Wir haben auf der anderen Seite am Rhein gesessen, die Füße ins Wasser gehalten – und später am Alter den Abend ausklingen lassen. Jetzt geht es nahe der alten Feuerwache in eine Pizzeria mit Außenbereich. Grüne Schirme leuchten den Weg. Ein Fahrradler fragt uns dezent, ob es in Frankfurt keine Radwege gebe, doch schon – aber heute nehmen wir uns die Stadt. Lachen. Vor Ort werden pragmatisch die Tische zusammen geschoben, Pizza, Milch und Bier geordert, ein Wind pfeift uns um die Ohren und nach einigem hin und her sind alle versorgt. Ein paar Waldhöfer sitzen an anderen Tischen, die Stimmung ist entspannt. Seit die Ultras eine Fanfreundschaft mit Waldhof pflegen, ist die Reise nach Mannheim eine der entspanntesten überhaupt, das ist nett – und könnte häufiger so sein. Basti kommt vorbei, Gude hier, Gude dort.
Alsbald sind wir gestärkt, die einen verabschieden sich Richtung Stadion, um die reservierten Tickets abzuholen, Pia, Götz und ich treiben durch die Innenstadt, entern ein Kiosk, Eichbaum Export – und gerade als wir uns zum Weg Richtung Stadion aufmachen wollen, funkt Pauline durch, die jetzt vor Ort ist. Keine Viertelstunde später treffen wir uns auf dem Mäuerchen mit Neckarblick am Beachclub, trinken noch einen Schluck und wandern gemeinsam los. Die erste Haltestelle lassen wir links liegen, in der Hoffnung, die Bahn an der nächsten zu erwischen – ein Plan, der punktgenau aufgeht. Zwei Jungs, deutlich als Frankfurter erkennbar am Eintrachtshirt fragen nach dem Weg, wir nehmen die gleiche Bahn. Später treffen wir sie wieder. Sie haben noch einen Adlerschoppen übrig, den ich dankend annehme. Jetzt sind wir nahe des Stadions, Menschen strömen den Eingängen entgegen, Mannheimer, Frankfurter, wenig Polizei. Götz und Pauline haben Tickets in der Waldhofkurve, wir bei der Eintracht und so trennen sich für’s Erste die Wege. Pia und ich wandern an der Haupttribüne vorbei und umrunden das Stadion, treffen unterwegs auf Anjo und stellen fest, dass jetzt doch eine ganze Menge Eintrachtler auf ihren Einlass warten. Vor uns stehen die Jungs, die wir unterwegs getroffen hatten, sie fragen nach, wie es mit der Abholung der Karten läuft. Gute Frage, wir haben sie ja schon. Die Tickets. Ich laufe kurzerhand an der Schlange vorbei zum Kassenhäuschen, treffe dort auf Zolo und Henning, die mir erklären, dass links der Einlass ist und rechts die Karten ausgegeben werden. Also können sich die Jungs ihre Tickets erstmal dort abholen. Ergo laufe ich wieder zurück, treffe traditionell auf Famile Minden, packe die Buben, aber auch Pia mit ein und wir wandern erneut nach vorne. Die Jungs sind erstmal froh an ihre Tickets zu kommen, derweil Pia und ich die Gelegenheit nutzen und geradewegs durch den Einlass spazieren. Das ist sonst nicht meine Art, aber für diesmal lass ich’s gelten. Irgendwas mit Luca App, Impfnachweis und Ticket ist gefragt, kurze Kontrolle – und zack sind wir drin. Ich lasse den Bierstand wohlweislich links liegen und marschiere die Stufen hinauf, Block W. Hie und da ein bekanntes Gesicht – und schnurstarcks geht es ganz nach oben. Beste Sicht, kein Gedränge. Das Grün des Rasens, eine volle Waldhofkurve, unser Fahnenmeer ist überschaubar, Banner so gut wie keine. Wahnsinn, wir stehen wieder einmal in einem Fußballstadion. Unsere Freunde sind ein paar Reihen weiter unten, bereit zum Pöbeln, Heike zieht es derweil zu uns nach oben. Die Jungs neben uns haben die Henkel ihrer Bierbecher ins Gitter eingehakt, Frankfurter Pragmatismus. Wäre auf dem Platz auch wünschenswert gewesen.
Und dann geht es los, die Eintracht in schickem Rot, neu dabei Lenz, Lindström und Borré, es hagelt gelbe Karten, der Support aus Frankfurter Sicht ist überschaubar, klar fehlt ja auch mehr als die Hälfte. Und darum geht es heute auch nicht. Am Anfang kickt die Eintracht noch ganz hoffnungsvoll, kurz vor der Halbzeit hält uns Kevin Trapp im Spiel. Derweil hat die Hälfte der Zuschauer ihren Personalausweis bzw. Führerschein verloren. Der Stadionsprecher ist beschäftigt.
In der Halbzeit drehe ich eine kleine Runde, Gude hier und gude da, dann geht’s wieder nach oben. Waldhof, in schwarz-hellblau, zeigt sich giftiger und prompt fällt nach einer Ecke das 1:0 für den Drittligisten. Wenig später dann das 2:0, derweil sich die Eintracht abmüht und wenig bis nichts zustande bringt. Außer Hinti, der mit gelb-rot vom Platz fliegt. Das vermeintlich 3:0 zählt wegen Abseits nicht und nach 94 Minuten ist das Spiel vorbei. Die Waldhöfer sind völlig zu recht außer Rand und Band, wir stehen leicht irritiert auf unseren Plätzen. Letztlich obsiegt die Erkenntnis, dass das eigentliche Highlight die Tatsache ist, dass wir überhaupt hier stehen. Ich recke meinen schwarz-roten Schal in die Höhe, ein Tränchen steigt auf. Wahnsinn, nach anderthalb Jahren wieder einmal Fußball. Mit Freunden unterwegs sein. Bierchen trinken. Die Eintracht kicken sehen. Okay, verloren – aber Mannheim hat sich völlig zu recht in die zweite Runde gekämpft, die Fans feiern mit der Mannschaft. Ich hatte ja schon die Befürchtung, dass unsere Jungs von der eigenen Kurve ausgepfiffen werden, aber Gott sei Dank werden sie mit zaghaftem Beifall empfangen, als sie in die Kurve schlurfen. „Auswärtssieg“ schallt es kurz durch’s Stadion, gegenseitiges Aufmuntern inklusive. Das Stadion leert sich auf Frankfurter Seite – und der Blick in den Himmel zeigt: Es schüttet. Klar, die Eintracht verliert, der Himmel weint. Kathrin kommt zu uns hoch, wir hocken uns auf die Stufen und blicken ins weite Rund. Ja, es war ein Erlebnis. Okay, nächste Runde in Kiel oder Osnabrück wäre auch ein Erlebnis geworden – aber gönnen wir es Mannheim. Wir haben ja nicht in Offenbach verloren. Nach dem ersten Guss treffen wir unten noch Anja, Caro und Kine. Klare Ansage der Damen: „Wir brauchen ein Bier.“ Sabine, die wieder einmal mit dem Roller hier ist, dreht sich noch ein Kippchen. Dann wandern wir zurück auf die Hauptstraße. Frank und die andere Kathtrin wirken nicht ganz so fröhlich, aber das sollte sich binnen weniger Minuten legen.
Später treffen wir gegenüber der Haupttribüne den Rest der Gang. Oli ist zu uns gestoßen und der allgemeine Wunsch, noch ein bisschen Zeit in Gemeinschaft zu verbringen, endet in dem kleinen Fischerhäusel in Seckenheim bei Souvlaki, Babycalamares, Saganki, Weizenbier und Ouzo, hinter der regennassen Terrasse liegt ein Bolzplatz, dahinter mäandert der Neckar. Pauline parliert mit dem Wirt in allerfeinstem griechisch, dass uns die Münder offenstehen – und wir erleben einen mehr als stimmingen Abschluss eines fast wunderbaren Tages. Später sausen wir durch die Mannheimer Nacht, lassen Pauline in der Citiy raus und rauschen über Käfertal auf die Autobahn. Alsbald sind wir in Hessen, dann in Frankfurt. Wir entlassen unsere Mitfahrer in die Frankfurter Nacht, parken den Dacia im Nordend und schlurfen müde aber glücklich die Stufen nach oben. Ein Ouzo geht noch, im End werden es ein paar mehr. Auf uns, die Eintracht, das Unterwegssein, die Freundschaft und die Liebe. Jamas!