So sind wir in den Herbst gerutscht. Die letzten Chilis suchen in der Unwirtlichkeit des Wetters ihre finale Röte, die Behaglichkeit einer warmen Wohnung verspricht in diesem Jahr keine Unbeschwertheit. Es sind, man kann es nicht anders sagen, Scheißzeiten.
2020 war so oder so ein Jahr der Wellentäler. Noch im Februar sind wir durch Salzburg geschlendert, die Eintracht spielte ihr 1/16-Finale und schon damals hätte man ahnen können: Irgendetwas stimmt nicht. Zwar wurde das Spiel nur ob eines Sturms um einen Tag verschoben, jedoch lag schon damals die Vermutung in der Luft, dass Corona ernster werden könnte. Doch es war zunächst nur der Sturm. Dann kam Thailand, der Abbruch des Urlaubs, der Abbruch der Fußballsaison.
Leise wurde es in Frankfurt, kaum ein Flugzeug stieg in die Luft, im Stadtwald war gut radeln, zumal der Goetheturm wieder in die Höhe wuchs, im Garten herrschte zunächst Ruhe, die Nidda mäanderte gemächlich vor sich hin und die Wasserhäuschen der Stadt empfingen dich mit offenen Armen. Einzig die Unsicherheit der Reisebeschränkungen trübten den Sommer – und natürlich die soziale Distanz. Statt wie üblich, Freunde zu umarmen, gewöhnten wir uns an die Coronafaust, den Coronaellenbogen. Versuchten es zumindest. Groß unterwegs außerhalb Frankfurts war ich nicht, sieht man einmal von Ausflügen in den Taunus ab. Okay, einmal Saarlouis, einmal Mannheim, einmal Heidelberg, das war’s. Ich bin ja nicht ganz so der ängstliche Typ, aber mir hat es in Thailand gereicht, als sich die Situation zuspitzte und wir mit Ach und Krach und für sündhaft teuer Geld im letzten Moment vor der Zeit Bangkok verlassen konnten. Immerhin. Je länger der Sommer dauerte, um so nerviger wurde es im Garten. Die Nachbarn rechter Hand, reichlich mit Nachkommen gesegnet, versammelten sich zuhauf, rund um die Uhr HalliGalli. Kind, Kegel, Freunde und gib ihm. Freunde, es ist kein Spaß, das Leben der anderen quasi intravenös mitzubekommen. Selbst die Eichhörnchen machten sich vom Acker. Nischen suchen. Immer wieder. Und kaum hast du eine gefunden, kommt der Teufel daher und verbaut sie dir grinsend.
Das Eintracht Museum hatte geschlossen, die Bundesligasaison endete unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Keine Veranstaltungen, keine Waldtribüne, keine Auswärtsfahrten. Immerhin hatte ich am Schreibtisch einiges zu tun, von daher herrschte hier auch Funkstille. Demnächst erscheint der neue Anpfiff, das Magazin, im dem sich das Leistungszentrum der Eintracht darstellt. Ich sprach mit den Trainern von der U15 bis zur U19, mit der Internatsleitung, der medizinischen Abteilung, den Verantwortlichen für die Spielkonzeption und etlichen mehr. War ziemlich interessant. Und immerhin konnten wir vor ein paar Tagen eine Veranstaltung aus der Reihe Tradition zum Anfassen auf die Beine stellen. Das Stadion in rotes Licht getaucht, hatten wir Alex Meier zu Gast, über eine Stunde plauderte ich mit unserem Fußballgott. Auf der Haupttribüne des Stadions verteilten sich mit gehörigem Abstand die Gäste. Natürlich weit weniger als in anderen Zeiten möglich wäre. Es wurde ein schöner Abend. Hin und wieder führte ich kleine Gruppen auf den Spuren der Eintracht durch die Stadt. Vorbei am Metropolis, vorbei an der Turnhalle im Oeder Weg, an Stolpersteinen in der Finkenhofstraße und vorbei an der einstigen Uhrmacherwerkstatt des Eintracht Gründers Albert Pohlenk. Zu diesem Thema werdet ihr in den kommenden Wochen noch einiges hören, haltet die Ohren offen – Spuren der Eintracht findet ihr nämlich in dieser Stadt überall. Zum Beispiel in der Hahnstraße, wo ich das Vergnügen hatte, mit Hammerwerferin Kathrin Klaas, die 2018 ihre Karriere beendete und 2012 bei Olympia Vierte wurde, mir das Gelände mal ganz genau anzusehen. Wie gesagt, demnächst mehr.
Je weiter der Sommer ins Land zog, sich langsam in den Herbst drehte, desto klarer wurde es, dass die relative Freiheit der warmen Tage ein Ende finden würde. Sobald ein Aufenthalt im Freien ungemütlich wird, steht der Rückzug in die Innerlichkeit an. Und da etliche nicht in der Lage sind, kleinste Nenner in Bezug auf dieses Scheißvirus einzuhalten, kam, was kommen musste. Die Fallzahlen stiegen wie die Beschränkungen und selbst unsere liebgewonnene Montagsgang, die sich wöchentlich an einem Wasserhäuschen traf und bei einem Schöppchen die Einsamkeit aufhob, wurde ob der Situation durcheinander gewirbelt. Wer Glück hat, lebt zu zweit – auch wenn dort die Freiräume eng werden können -, wer alleine lebt, zudem noch Homeoffice macht und sich dazu an einen Teil der durchaus sinnigen Regeln hält, guckt traurig aus der Wäsche. Kein Fußball. Keine Konzerte. Keine Treffen. Soziale Isolation. Das kann wahnsinnig machen. Auch wahnsinnig wütend. Auch auf diejenigen, die auf alles scheißen, sich rebellisch gebärden, wo Zurückhaltung angesagt wäre – und sich zurückhalten, wo Rebellion von Nöten ist.
Es ist, wie so oft, die klaffende Schere zwischen Arm und Reich, die Zerstörung der Ökosysteme, die Gentrifizierung der Städte, kurz eine Politik, die der Gewinnmaximierung das Wort redet und die Strukturen schafft, die Gesellschaftssysteme kollabieren lässt. Während Schulkinder bei offenem Fenster sitzen, die Krankenhäuser überlastet sind und Geringverdiener an den Rand und darüber hinaus gedrängt werden, während rechtsextreme Strukturen bei der hiesigen Polizei den Status der „Einzelfälle“ längst überschritten haben, verweist keine einzige Idee auf eine umsetzbares Zukunftskonzept in punkto Mobilität, soziale Sicherheit und Klimawandel. Die Menschen sollen den Wirtschaftskreislauf aufrecht halten, ansonsten können sie zuhause verdämmern. Die Bundesliga beklagt den drohenden Zusammenbruch, weil sie ihre Angestellten nicht mehr mit den irrwitzigen Summen bezahlen kann, wie all die Jahre zuvor. Lächerlich. Während tausende Amateurvereine sich wie eh und je gerade so über Wasser halten, bricht Wehklagen ob fehlender Millionen aus. Alleine die Ausgaben der elitären Clubs für Häppchen übersteigen den Jahresetat eines Stadteilclubs bei Weitem. Mit welchem Recht behauptet die elitäre Oberschicht, die Notwendigkeit, den luxuriösen Lebensstil aufrecht erhalten zu müssen, um zur Bekräftigung ein uns alle betreffendes drohendes Untergangszenario auszumalen? Auch Fußballer, Unternehmer, Minister könnten, so rein theoretisch, Fahrrad fahren. Oder S-Bahn. Oder Dacia. Es dreht sich auch heute nicht um die Frage fehlender Mittel, es dreht sich wie immer um die Verteilung derselben.
Um einige Dinge kommen wir derzeit nicht drumherum. Abstand, Masken. Doch während Linke und Fußballfans seit Jahren bei geringsten Vergehen, die staatlich angeordnete Härte zu spüren bekommen, dürfen sich die Rechten, die Covidioten unter dem Schutz der Polizei austoben. Die mediale Bürgerlichkeit hält sich auffällig zurück. Es ist so unfassbar absurd, der SUV genießt mehr Schutz als der Flüchtling, die Fleischindustrie mehr als die Bildung, die Vollidioten mehr als als die Vernünftigen. Dazu gesellt sich die Zukunftsvision eines Landes, welches bei den nächsten Wahlen womöglich die Qual zwischen den unter massiven Realitätsverlust leidenden Olaf Scholz oder Friedrich Merz haben wird. Da rebelliert niemand. Klar, dann bekommst du ja auch auf die Fresse.
Wenigstens hat Bruce Springsteen ne neue Platte draußen. Vielleicht ruf ich ihn mal an und quatsche mir alles von der Seele. Er hat ja immer ein offenes Ohr für die kleinen Leute. Weitermachen!