Letzten Herbst kaufte ich mir in weiser Voraussicht ein neues Rad, nix dolles – weder ist es elektrisch noch hat es sonst große Speränzchen. Schön grün ist es und ich muss meinen Rücken nicht mehr wie bei meinem Mountainbike durchbiegen. Und ich habe es sogar noch 100 Euro billiger bekommen, 400 Taler für jede Menge Spaß. Scheint bislang ein guter Deal gewesen zu sein. Zum rechten Zeitpunkt will ich meinen. Damals war nix los.
Hier habe ich neulich ja schon ein bisschen über die Radelei berichtet, mittlerweile bin ich dann schon ganz gut rumgekommen, war in fast allen Stadteilen Frankfurts. Stand jetzt fehlen noch Sindlingen und Zeilsheim, Nieder-Erlenbach und Kalbach, wobei an der U-Bahn Station Kalbach war ich neulich – aber die liegt ja eher in Bonames. Nicht weit von der alten Autobahnabfahrt, die nunmehr kaum noch zu erkennen ist. Im Bahnhofsviertel war ich erstaunlicher Weise auch nicht – wenn ich dort in der Ecke bin, fahre ich meistens am Main entlang. Niederursel habe ich nur gestreift und auch Unterliederbach fehlt noch in meiner Liste. Dafür war ich in Offenbach, in Dietzenbach, Heusenstamm, Götzenhein, Neu Isenburg, Niederdorfelden, Bad Vilbel, Steinheim oder Klein Auheim – das ist doch was. Den Taunus hingegen spare ich mir mit dem Rad, das ist mir zu steil, da laufe ich lieber. Ja, ich geb’s zu, am liebsten fahre ich am Wasser entlang, Main, Nidda. Leichte Steigungen gehen auch. Von der Nidda in Berkersheim hoch nach Preungesheim oder quer durch den Lohrberg hoch nach Bergen in die Hohe Straße.
Mal mache ich eine kleine Abendtour, hoch nach Preungesheim zum Beispiel, das Eiscafé am Gravensteiner Platz ist immer ein lohnendes Ziel. Und wenn man schon mal da ist, kann man auch über die Felder zum Heiligenstock fahren, zu den Resten des alten Senders. Bunt besprühte Ruinen zeugen von einer untergegangenen Zeit, und wie es scheint, trifft sich hier zuweilen die Jugend. Und wer Hunger hat, kann auf dem Rückweg in der Gartenanlage schräg gegenüber vom Wasserpark einkehren. Ein nettes, unprätentiöses Plätzchen. Über die Uni zum Grüneburgpark ist auch eine nette Tour. Ich kenne die Uni ja noch aus den Bockenheimer Zeiten, damals, als ein ganzer Stadtteil durch die Studierenden geprägt wurde, Poster an den Wänden hingen und das Lernen mit dem Leben Hand in Hand ging – eifrige Diskussionen in der Casa die Cultura eingeschlossen. Heute ist die Uni ein sauberer, dezent abgeriegelter Ort, ein Ausbildungszentrum mit klaren Strukturen und Regelungen. Ich mag eher den Wildwuchs. Im Grüneburgpark hintenan müssten in einem Baum noch meine Initialen zu finden sein, die ich als Kind hinein geritzt habe. Auf dem Rückweg ein Roadbier am Kiosk in der Wolfsgangstraße.
Überhaupt sind die kleinen Lokalitäten die Bonbons auf diesen Touren. Hier ein Bierchen, dort ein Mahl – Päuschen sind wichtig. Manchmal sitze ich nur auf einer Bank und nuckel an meiner Wasserflasche, ein anderes Mal wird eingekehrt, wie es sich gehört. Cevapcici im Adler in Ginnheim, ein Äbbelwoi im Lemp in Berkersheim, ein Schöppchen am Orange Beach oder im Bootshaus in Harheim, eine Wurst auf die Hand in Schwanheim. Und manchmal kommt der Radler zu spät. Wie gestern. Über die Hohe Straße nach Niederdorfelden, verfranst in Gronau, über die Felder zur Berger Warte und der Sonnenuntergang am Umspannwerk. Ich hatte Hunger und rollte an der BGU vorbei – und siehe da: Der Bosna Grill an der Bushaltestelle hatte geöffnet, unter den Schirmchen trank man sein Feierabendbier. Jetzt ein Schöppchen und einmal Pljeskavica, das wäre genau das Richtige am richtigen Ort. Leider gab es nichts mehr zu essen, die Vorfreude zerbröselte, hungrig gings weiter. Schade. Unterwegs stach mir eine Biene in die Lippe. Während der Fahrt. Die ist jetzt dick, die Lippe. Die Biene aber lebt nicht mehr.
Wenn man so durch die Gegend gondelt, fallen einem allerlei Dinge auf, die eher unbeachtet ihr Dasein fristen – bei genauerem Blick aber ganze Geschichten erzählen, wie das Adorno-Denkmal, welches nun in der Uni steht, statt wie einst in Bockenheim. Der Zirkus in der Platenstraße, das Denkmal für die Kinder, die Gewalt zum Opfer gefallen sind, am Rande eines Feldweges, die Graffitis an der Breitenbachbrücke oder hinter der Woogstraße auf dem Weg ins Ginnheimer Wäldchen, der holzumzäunte Garten am Knast oder eben die Ruinen des Senders Heiligenstock. Dahinter verbergen sich unerzählte Lebensgeschichten, unbekannte magische oder traurige Momente, weitergeflüstert an die, die zu hören vermögen.
Irgendwo rauschen Autos. Irgendwo rauschen immer die Autos. Zu schnell für die Zeit. Abseits davon werkeln Menschen in ihrer Welt, in den Schrebergärten, in der verlangsamten Welt. Doch die Zeit, so es sie denn gibt, bleibt nie stehen. Aber Fahrradfahren entschleunigt, die Gedanken drehen sich in den Sonnenuntergang, irgendwo geht jemand mit seinem Hund spazieren. Draußen grüßt man sich zuweilen. Man könnte immer auch woanders sein. Drei junge Frauen sitzen auf einer Wiese mit Blick ins Tal, weiter hinten erhebt sich der Feldberg in die sonnenbestrahlten Wolken. Zum Glücklichsein brauchts nicht viel. Wohl dem der liebt. Und geliebt wird. Der Abend senkt sich über die Wiesen. Drunten tobt die Stadt. Soll sie doch.