Der Begriff „Hurensohn“ gehört nicht zu meinem Vokabular, zum einen, weil ich es nicht als unehrenhaft empfinde, eine Hure zu sein und zum anderen weil der Sohn nicht in Sippenhaft genommen werden sollte, egal, was die Eltern machen. Allerdings hat sich dieser Begriff als Beschimpfung in den vergangenen Jahren eingebürgert, auch im Fußball. Meist wird er achselzuckend hingenommen – nicht jedoch im Falle Dietmar Hopps.
Dietmar Hopp ist sicher nicht der Sohn einer Hure, er ist Sohn eines SA-Mannes, wofür er nichts kann – ein Geschmäckle bekommt dies jedoch, wenn er den Angriff auf die jüdische Synagoge in Hoffenheim 1938 und deren Zerstörung, die der Vater maßgeblich angeführt hatte, noch Jahrzehnte später zu relativieren versucht. Aber Dietmar Hopp ist kein Nazi, er ist Mitbegründer von SAP, einer Firma, die heute die meisten Fußballvereine mit Software versorgt und er hält 96% der Anteile der TSG Hoffenheim – trotz bestehender 50+1 Regelung. Möglich ist dies durch eine Regeländerung, welche besagt, dass Förderer, die über 20 Jahre lang für einen Verein maßgeblich aktiv waren, nicht mehr unter diese Regelung fallen. Derzeit fallen in der Bundesliga vier „Vereine“ unter diese Regelung, Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg, Leipzig und eben die TSG Hoffenheim. Interessant dabei ist, dass sich bei Borussia Dortmund die Mehrheit des Kapitals im Eigentum privater Investoren befindet – und der BVB dennoch die Geschäftsführung inne hat.
Das ist wichtig für das Verständnis des modernen Fußballs. Die 50+1 Regelung soll verhindern, dass Investoren Vereine zu ihren Gunsten umstrukturieren, und aus dem Wesen des Vereins eine Investitionsobjekt wird, dessen Ziel letztlich Rendite ist, derweil der Fußball zum Mittel zum Zweck verkommt. Während vor allem Bayer, weniger Wolfsburg, geduldet wurden, so hat der Aufstieg der TSG Hoffenheim, finanziert aus privaten Mitteln von Dietmar Hopp von Beginn an für Unmut gesorgt, zumal er den Einstieg in den Fußball schon bei anderen Projekten in Heidelberg oder Mannheim versuchte, dort aber scheiterte und sich dann für seinen Heimatverein entschied. Die rührselige Nummer, reicher Onkel erinnert sich an seine Jugendtage und gibt nun zurück ist in Wirklichkeit mehreren Faktoren geschuldet, die weitaus weniger romantisch sind, als sie gerne kolportiert werden. Dass später mit RB Leipzig ein weiteres Konstrukt mit Fremdkapital in die Liga gehievt wurde – und die Grenzen noch weiter ausdehnte, wäre ohne den Fall Hoffenheim nicht denkbar gewesen. In der Folge nehmen diese Clubs anderen die Plätze weg, die mit anderen Rahmenbedingungen klar kommen müssen – und zum Teil kläglich scheiterten wie der 1.FC Kaiserslautern, weit unter ihren Möglichkeiten performten wie der HSV oder schlicht nicht dazu in der Lage sind, wie der VfL Bochum.
Schon früh entzündete sich der Protest am Gebaren Hoffenheims, im Fokus stand Dietmar Hopp als Initiator des Ganzen. „Dietmar Hopp, du Sohn einer Hure“ erschallte es wenig pointiert von den Kurven der Gegner, das ist nicht schön, jedoch war Dietmar Hopp nicht der erste und nicht der letzte, der derart beschimpft wurde. Auffällig wurden die Anhänger des BVB, die zudem noch ein Banner mit Hopps Gesicht im Fadenkreuz hoch hielten. Während die einen ob der vermeintlichen Geschmacklosigkeit in Grund und Boden erschüttert waren, zuckten die anderen mit der Achsel: Symbolbild und normale Härte.
Hoffenheim reagierte mit Strafanzeigen, Schalleinrichtungen und Abhöranlagen um dem Treiben ein Ende zu setzen – ein Novum in der Geschichte des Fußballs, die Fans aber nahmen dies zum Anlass, weiterhin zu provozieren. So schaukelte man sich gegenseitig hoch, während Leipzig seines Weges ging und Hoffenheim vorerst eine Randnozitz wurde. Unterdessen übernahm der Sohn des damaligen DFB-Präsidenten Zwanziger die Frauenmannschaft der TSG, wurde Hoffenheim Spielort der Frauen WM und bereitete sich die Nationalmannschaft im Hoppschen Hotel auf die EM 2012 vor, Die Verbindungen zwischen Dietmar Hopp und dem DFB gediehen prächtig.
Vergangenen Spieltag aber eskalierte das Geschehen – auf mehreren Ebenen. Der DFB hatte die zuvor „vorerst“ abgeschafften Kollektivstrafen wieder eingeführt, die Fans der Dortmunder sollten in den kommenden Jahren nicht ihren Club nach Hoffenheim begleiten dürfen. Eine Steilvorlage für kommende Proteste, die – man ahnt es – nicht weniger wütend und unromantisch ans Licht der Fußballwelt dringen würden – und so kam es dann auch. Und von nun an lief alles aus dem Ruder.
In Hoffenheim, Meppen, Gladbach, Berlin oder Hannover standen Spiele kurz vor dem Spielabbruch, ein Dreistufenplan wurde umgesetzt, der eigentlich der Bekämpfung von Rassismus dienen sollte, Sportreporter hüllten sich in verbalen Trauerflor – wegen handelsüblicher Beschimpfungen, die nunmehr eindeutig als provokante Solidarisierung mit dem ausgesperrten BVB-Anhang zu interpretieren war. Von Morddrohungen war die Rede, vom überlaufendem Fass, von Irren und Kranken. Oliver Mintzlaff, (Sportvorstand Leipzig) sprach vor laufender Kamera unwidersprochen von Idioten (ein Begriff, nicht minder strafrelevant wie Hurensohn) und die sprechende Klatschpappe Mario Basler wollte Frauen zwischen die Beine greifen, um Pyrotechnik zu verhindern. Der neue DFB-Präsident Fritz Keller irrlichterte hofiert von Kathrin Müller-Hohenstein im Sportstudio im Nirgendwo herum und Anwalt Christoph Schickhardt forderte bundesweite Stadionverbote und Hausdurchsuchungen. Ein bizarres Drama spielte sich ab – die Stimmung in Teilen der herrschenden Fußballwelt schien eher auf ein Attentat zu verweisen, von Erinnerungen an dunkelste Stunden war die Rede, von Diskriminierung und überschattenden Spieltagen. Wegen Bannern und Sprechchören. Gegen einen wehrhaften Milliardär mit besten Beziehungen.
Eine Reaktion, die man sich gewünscht hätte, als Spieler rassistisch beschimpft wurden, als Weltmeisterschaften in Unrechtsstaaten vergeben wurden, als sämtliche Präsidenten der großen Verbände unehrenhaft entlassen wurden, als Clemens Tönnies sich rassistisch äußerte. Da schwieg die Blase lautstark. Erst ein paar Banner und Sprechchöre gegen einen weißen Milliardär weckten sportliche Führung und Abhängigkeitsjournalisten auf. Zunächst fragte niemand nach den Hintergründen, Rummenigge (der Mann mit den Uhren) und Dietmar Hopp standen bedröppelt, beinahe Hand in Hand auf dem Rasen – und im Fokus standen sofort die Ultras, in München die Schickeria, ohne die Rummenigge bis heute nicht wüsste, wer Kurt Landauer war. Völlig übersehen wurde dabei, dass es eben nicht nur die Ultras waren, die sich gegen die Abkehr der 50+1 Regelung, gegen Kollektivstrafen und gegen die Unverhältnismäßigkeit der Reaktion stellen, sondern vielmehr große Teile der aktiven Fanszene und unabhängigen Sportjournalisten.
Diese Erkenntnis taute erst langsam auf, nach den ersten Krokodilstränen besannen sich einige Journalisten ihrer Aufgabe und stellten die Vorkommnisse in einen Zusammenhang, der nachfragte und die Unverhältnismäßigkeit relativierte. Im Nachgang zu den ersten Pokalspielen wurde spät am Abend in einer Gesprächsrunde mit Friedhelm Funkel, Michael Gabriel (KOS), Holger Keye (Union) und Dr. Peter Görlich (TSG) die Situation analysiert, wobei Moderatorin Jessy Wellmer nicht ins gleiche Horn wie ihre KollegInnen stieß, sondern sich dem Sachverhalt mit Sachverstand näherte. Dabei stellte sich heraus, dass auch ein Friedhelm Funkel außer Banalitäten nichts Wesentliches beizutragen hatte, während die Vertreter der Fans resp. Fanprojekte einiges an Hintergründen zu erzählen hatten, die auch den Geschäftsführer von Hoffenheim nachdenklich werden ließen. Skurril ein Einspieler über Clemens Tönnies, der beinahe sagte, man müsse Rassisten rauswerfen, dann aber doch kurz innehielt, weil er ahnte, dass bei erfolgreicher Umsetzung er eigentlich der erste wäre, der hätte gehen müssen.
Der DFB wäre klug beraten, den Dialog mit den Fans zu suchen und die Kollektivstrafen auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen, Dietmar Hopp wäre klug beraten, die Beschimpfungen ähnlich wie Timo Werner oder im Frankfurter Fall Jermaine Jones (Der beim größten Pfeifkonzert in der Geschichte des Fußballs schlicht erklärte, er habe nichts gehört) an sich abprallen zu lassen oder gar selbst den Dialog zu suchen – und nicht weiter mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, weil er wissen müsste, dass es ein verheerendes Echo geben wird. Derweil würde ich mir wünschen, dass die wirklich entscheidenden gesellschaftlichen Themen, vom Rechtsradikalismus über Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie, die auch im Fußball ihr Abbild finden, mit ähnlicher Wucht angegangen werden, wie die Vorgänge rund um die Causa Hopp. Diese Vorgänge zeigen aber auch, wie steinig der Weg ist, zeigen ein gesellschaftliches „Wir“, welches eigentlich eine weiße Mehrheitsgesellschaft meint, die sich ihre Pfründe gegenseitig sichert, während der Rest, ob schwarz oder/und arm zusehen kann wo er bleibt und augenscheinlich vergeblich auf Solidarität hofft. Und die Frage: Wem gehört der Fußball? ist auch noch zu klären. Denn er gehört sicher nicht den Inszenatoren einer aseptischen Unterhaltungsveranstaltung zum Zwecke der Geldvermehrung oder dem Füttern des eigenen Egos. #Reclaim the game