Heute also geht’s weiter nach Tallinn – und nicht nur dies; auch die Eintracht wird heute Abend spielen. Erst aber heißt es, die Fähre von Helsinki nach Tallinn zu erwischen und das heißt: Aufwachen. Soviel vorab: Es hat geklappt.

Tag III

Pünktlich wie die Maurer werde ich wach und springe unter die Dusche, es ist noch keine acht Uhr am Morgen, als ich ein letztes Mal meine Unterkunft in Töölö verlasse und mich mit meinem Rucksack auf den Weg zum Bahnhof mache. Es ist schon seltsam, wie binnen kurzer Zeit Dinge wie der rasselnde Aufzug zur Gewohnheit, zur Gegenwart, werden – und jetzt schon Vergangenheit sind. Wer weiß, ob ich diesem Leben noch einmal hier her kommen werde, die Wahrscheinlichkeit ist überschaubar – doch wer weiß schon, was kommt.

Unten am Bahnhof ein kleines Frühstück, dann kommt auch schon die Bahn mit der Nummer 7 angerumpelt und ehe ich mich versehe, werde ich auch schon am Terminal 2 ausgespuckt, der Ort ist unwirtlich und ich bin viel zu früh. In meiner Vorstellung sitze ich jetzt am Fährhafen und schaue den Fähren hinterher, in Wirklichkeit bin ich umgeben von Baustellen und Parkplätzen, Zeit zu rauchen. Und einen Aufkleber vom EFC Black & White zu entdecken. Da ich online eingecheckt habe, treibe ich mich eher sinnlos auf dem Gelände herum, bis ich den Durchgang passieren kann. Oben in der Wartehalle gibt es eine Terrasse mit Blick auf die Fähren, hier lässt es sich leichter Warten, unten reiht sich PKW an PKW, um auf die Fähre zu rollen. Es sind etliche Reisende unterwegs, Frankfurter aber entdecke ich kaum. Sobald das Boarding beginnt, schiebt sich eine lange Schlange auf die Fähre, es geht flott voran und kaum bin ich an Bord, beginnt das große Orientieren, Platz suchen. Menschen laufen treppauf, treppab so auch ich und es dauert ein Weilchen, bis ich das Sundeck gefunden habe, die Sonne gleißt, die ersten sitzen schon vor gefüllten Tellern, balancieren Gläser durch die Gegend. Auf dem Deck ein Kommen und Gehen, Plätze werden gesucht und gefunden, wieder aufgegeben. Ich setze mich an die Reling und warte auf’s Ablegen mit Blick auf die Helsinkier Kulisse. Immer wieder werden Fotoapparate und Handys gezückt, als ein Wind weht, realisiere ich, dass wir abgelegt haben, langsam verlassen wir den Fährhafen, immer kleiner wird Helsinki, immer näher rückt Tallinn.

Ich gebe meinen Platz auf und wandre durch ein unteres Deck. Menschen sitzen an Spielautomaten, essen bei Burger King oder in anderen Locations, eine Band spielt. Nachdem ich mir eine eiskalte Cola besorgt habe, geht’s wieder raus an die frische Luft. Seitlich hinter dem Sonnendeck kann man sich auf den Boden setzen und auf den finnischen Meerbusen schauen, hier ist kaum jemand, es ist heiß, aber ich wickel mir ein Tuch um den Kopf und sehe auf’s Wasser, aus dem Kopfhörer pluggern Lea Porcelain und Alice Hubbel, Fähren ziehen vorbei, es ist sicherlich einer der Höhepunkte der Reise, fleischgewordenes Unterwegssein, reisen ins Unbekannte bei Sonnenschein und Wasserwind.

Knapp zwei Stunden dauert die Fahrt und nach einem langen Gang durch die Gangway am Terminal D betrete ich erstmals estnischen Boden, hallo Tallinn, ich bin Beve. Meine Unterkunft liegt nicht weit entfernt vom Terminal, ein Wegweiser schickt mich in die richtige Richtung, doch erst nach einmaligen Kreiseln entdecke ich den Eingang, der Weg ist noch kürzer als ich dachte – wenn man denn weiß, wo man hin muss. Ich bin ein paar Minuten vor der Zeit, aber dennoch wird geöffnet und schon halte ich den Schlüssel in der Hand. Mein Zimmer ist ein winziger Raum ohne Fenster, ich hatte es befürchtet. Zimmer ohne Aussicht heißt: Zimmer ohne Fenster. Es ist stickig, aber immerhin, ein Bett steht im Raum, es ist sauber und ich beziehe es selbst. Und dann heißt es: Raus in die Welt. Matchday. Flora Tallinn vs Eintracht Frankfurt.

Am Hafen vorbei schlendernd, über eine viel befahrene Hauptstraße spazierend erreiche ich die Stadtmauern der mittelalterlichen Unterstadt und finde auch nach einigem hin und her einen Durchgang. Und kaum bin ich in der Altstadt, trifft mich der Schlag. Durch die wunderbaren Gassen mit den barocken Häusern schieben sich Menschenmassen, der Klang des Rollkoffers ist allgegenwärtig. Nach der beschaulichen Ruhe Helsinkis, den eher stillen Inseln, bin ich dezent überfordert. Ich entdecke meine Kollegin Maj in einem Restaurant, die mit ihrer Freundin Yasmin schon seit gestern hier ist, wir verabreden uns für später und ich schiebe mich weiter durch die Gassen. Tausende sitzen in den Cafés, in den Restaurants – und trotz der auffälligen Schönheit der Straßen und Häuschen, brauche ich sofort: Ruhe. Und ein Bier. An der Kreuzung Lai/Nunne finde ich ein Kiosk, hole mir ein Bier und setze mich nebenan auf ein Mäuerchen, hinter mir rieselt ein kleiner Wasserfall, ein lauschiges Plätzchen zum beobachten will mir scheinen. Bis Feuerwehrautos kommen und in die kleine Straße abbiegen wollen – was allerdings nicht gelingt, da PKWs zu eng parken. Ein nächstes Feuerwehrauto kommt, dahinter versuchen andere PKWs zu überholen – was natürlich nicht geht. Binnen kurzem wurde aus meinem lauschigen Plätzchen ein turbulenter Hotspot. Feuerwehrleute in schweren Uniformen verzweifeln am Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer, die statt zu warten, gegen die Einbahnstraße fahren, bewahren gleichermaßen die Ruhe – und zu allem Überfluss schiebt sich auch noch ein Touristenbähnchen mit etlichen Anhängern auf die kleine Kreuzung. Touristen stehen hastig vom Essen auf, bereit alles zu filmen, was sich nicht schnell genug fortbewegt, man möchte ihnen die Handys aus der Hand schlagen. Bevor meine Laune völlig kippt, hole ich mir noch ein Bier und laufe runter, bis ich wieder außerhalb der Stadtmauern bin. Dort wächst ein Park in die Höhe, ein Weiher im Grün glänzt in die Sonne und ich suche mir ein einsames schattiges Plätzchen und genieße die Stille. Und sammle Kraft für ein erneutes Einsteigen in den Trubel, den man erst einmal verkraften muss.

Am Kiosk entdecke ich oben am Fenster eine Eintrachtfahne, und treffe auch sofort auf die ersten Eintrachtler, jetzt kann das Fußballabenteuer beginnen. Hier ist Thorsten, der tausende Stadien gesehen hat, da Holger von den Schobberobbern, dort Tom von der Bembelbar, überall ein Hallo, ein Gudewie und Prost. Da ich morgen noch einen ganzen Tag in Tallinn vor mir habe, entscheide ich mich, ohne Ziel durch den Tag zu treiben, wandre runter zum Rathausplatz, treffe auf Maj und Yasmin, warte ewig auf einen Kellner, der sofort zur Stelle ist, als ich mir ein Kioskbier einschenke. Natürlich schimpft er, aber was soll ich machen? Ich order selbstverständlich bei ihm ein neues, wir sitzen und quatschen und sehen, wie sich langsam der Rathausplatz füllt, von hier wird der Fanmarsch abgehen – und kaum haben wir ausgetrunken, geht’s auch schon los.

Natürlich überall bekannte Gesichter, hier ist Basti vom Fanprojekt, dort die Pappnasen vom Fußball 2000, hier ist Susi, dort Helga, da Matze und auch Flo hat’s noch gepackt. Wir wandern entspannt durch die Stadt zum Stadion, werden völlig in Ruhe gelassen, babbeln und freuen uns auf das bevorstehende Spiel. Am Stadion selbst muss ich noch meine Karte abholen, Moni, Ina und Ingo sitzen in kleinen blauen Zeltchen und haben alle Hände voll zu tun – obwohl die Schlange überschaubar ist. Ich bin einer der letzten, der seine Karte bekommt, dabei wollte ich mich eigentlich beeilen. Ich bedanke mich herzlich und schon stehe ich in einer weiteren Schlange zum Einlass, der flott und einfach von statten geht. Irgend jemand drückt mir ein Bier in die Hand, das mir prompt aus den Fingern glitscht und nach unten saust. Irgend jemand schimpft jetzt natürlich, das tut mir leid – aber es war ja keine Absicht. Ich laufe nach unten, treffe wieder auf Maj und Yasmin, bekomme ein neues Bier, Helga ist auch hier – Henning kommt, die Zeit vergeht wie im Rausch, überall Lachen und fröhliches Gebabbel. Leider habe ich Arne nicht mehr entdeckt, den ich eigentlich noch treffen wollte.

Als es losgeht, ist die A. Le Coq Arena ordentlich gefüllt, wir sind eine ganze Menge und machen ein mords Spektakel. Bei der Eintracht ist Wiedwald im Tor, der einzige Neuzugang in der Startelf ist Kohr. Auch an die neuen Trikots muss ich mich erstmal gewöhnen. Die Jungs von Flora in grün, es entwickelt sich ein munteres Spielchen, welches ich nicht sonderlich ernst nehme, zuviel gibt es zu erzählen, zuviel zu supporten, zuviel zu hören. Torro macht das 1:0, großer Jubel natürlich, Ausgelassenheit, bis der Ausgleich fällt. Der stört nicht sonderlich, wir holen Getränke, brüllen Eintracht und so vergeht auch die zweite Halbzeit in der untergehenden Sonne. Der eingewechselte Joveljic bringt die Eintracht erneut in Führung, wir stehen mittlerweile mit nacktem Oberkörper da und bleiben bis weit nach Schlusspfiff im Stadion. Im Herzen von Europa klingt auch hier schön.

Später bringt uns ein Bus Richtung City, ich habe einen fürchterlichen Schluckauf – und fahre mit Yasmin weiter in die Unterstadt. Dort warten wir ewig am Rathausplatz auf ein Bier, welches nicht kommt und so mache ich auf Richtung Unterkunft, während Yasmin noch mit Kumpels in die Nacht zieht. Keine 15 Minuten später bin ich im Hostel und falle in meinem stickigen Zimmer in einen traumlosen Schlaf.

Tag IV

Als ich am nächsten Morgen klitschnass erwache, habe ich kein Gefühl für die Uhrzeit, es könnte fünfe in der Nacht sein oder aber drei Uhr am Nachmittag. In Wirklichkeit ist es 9:30 Uhr – eine gute Zeit, um nach einem aufregendem Tag aufzustehen und zu duschen. Blöderweise vermisse ich einen kleinen Thai-Beutel mit ein paar Münzen drin, was mich sehr verwundert, da ich in ihm die Schlüssel hatte – und nachweislich in meinem Zimmer erwachte. Wo er wohl stecken mag? Auf dem Flur treffe ich einen anderen Gast, der in einem gegenüberliegendem Zimmer wohnt, er erzählt mir auf englisch, dass sich die Fenster in den Zimmern mit Aussicht nicht öffnen lassen, kurz hatte ich geschwankt, das Zimmer zu wechseln, einen Plan, den ich nun aufgebe. Er rät mir aber, beim Besitzer der Unterkunft nach einem Ventilator zu fragen. Das könnte eine gute Idee sein. Kurz darauf treffe ich Carina, die im gleichen Hostel nächtigte, fröhliche Frankfurter überall. In den jetzt noch bewohnten Zimmern stehen überall die Türen auf, die Hitze hat uns alle im Griff.

Etwas gerädert schiebe ich mich dann nach draußen an die frische Luft, die eine nicht zu unterschätzende Wohltat ist. Malisa hatte über Twitter ein paar Tallinn Tipps übermittelt, darunter der Hinweis auf eine kostenlose Stadtführung um 12, die wollte ich gerne mitnehmen. Auch Thor hatte gestern Interesse gezeigt, so schicke ich ihm die Infos und marschiere in die Unterstadt, treffe Dario auf eine Cola – und spaziere von dort Richtung Bahnhof. Tom hatte gestern noch von einer Markthalle gesprochen, diese finde ich auch, frühstücke einen Happen und breche dann auf zur Stadtführung. Thor ist auch schon vor Ort – und wir sind nicht die einzigen Eintrachtler – und da wir insgesamt eine große Gruppe sind, teilen uns die beiden Stadtführerinnen kurzerhand auf. Wir landen bei Mia, einer jungen Estländerin, die uns die nächsten zwei Stunden gleichermaßen humorvoll wie kenntnisreich durch die Gassen führt, Anekdoten erzählt und die bunte Truppe mit Gästen aus Australien oder Puerto Rico, aus Japan oder Frankfurt souverän im Griff hat. Wir erfahren Geschichten vom alten Thomas, der auf der Rathausspitze thront, von einem Casanova, der nach seinem Tode reuig in einer Kirche beerdigt werden wollte und dabei noch den Damen unter den Rock starren konnte und von der wechselhaften Geschichte Estlands, das unter permanenter Besatzung litt und erst seit 28 Jahren wieder selbständig ist. Wir wandern auf den Domberg, blicken von Besucherterrassen über die Stadt und bedanken uns für die tolle Führung mit angemessenem Trinkgeld. Falls ihr mal in Tallinn seid, trefft euch um 12 in der Nähe des Rathausplatzes am Info Center. Es lohnt sich.

Als die Führung zu Ende ist, verabschiede ich mich von Thor und laufe wieder runter zum Bahnhof; hinter diesem soll ein ehemaliges Fischerviertel liegen, welches einst gemieden wurde und heute gentrifiziert zu den neuen Spots zählt. Hier ist es ruhig, zwischen hölzernen Häusern sitzen Menschen in den Cafés und lassen es sich gut gehen. Hinter dem Viertel erreiche ich die neue Strandpromenade, auch hier ist wenig los. Zu Sowjetzeiten war das Ufer aus Angst vor Fluchtmöglichkeiten tabu und erst langsam beginnt die Stadt die einzigartige Lage an der Ostsee auch zu nutzen. So gibt es nur wenige zugängliche Stellen, der winzige Strand ist steinig, dennoch wird sich hier gesonnt, die Plätze genutzt. In der Ferne entdecke ich ein großes Graffiti, in dem die Fanfreundschaft zwischen der Eintracht und Chemie Leipzig beschworen wird – an einer Stelle, die höchst seltsam wirkt, eine gigantische Betonfläche, mit Treppen und Sperrflächen. Erst später wird mich Stefan darauf aufmerksam machen, dass es sich hierbei um die Linnahall handelt, die alte Stadthalle, zu Zeiten der Olympischen Spiele 1980 erbaut, die nun langsam zerfällt.

Und so spaziere ich langsam zum Hafen – und von dort zurück in die Unterstadt. Jetzt ist es kein Vergleich zu gestern, die Straßen sind belebt, klar, aber es sind keine Massen, die sich hier durchschieben. Vielleicht lag es gestern tatsächlich an den von mit innig geliebten Kreuzfahrtschiffen, dass die Stadt überflutet wirkte. Gleich deren vier sollen hier gelegen haben. Ich habe Hunger. In einem Hinterhof werde ich fündig, ein schattiges Plätzchen und einen Spicy Pitta Burger später, geht’s wieder durch die kleinen Gassen hoch und runter. Ich bewundere die pittoreske Altstadt, treibe mich an der Stadtmauer herum und wandere dann langsam Richtung Hostel. Kaum eingetroffen, empfängt mich der Besitzer und erklärt freudestrahlend, dass er gerade einen Ventilator zusammen bastelt, den ich gleich haben könne. Ich frage bei der Gelegenheit, ob nicht vielleicht ganz zufällig jemand einen kleinen gelben Beutel gefunden habe – und prompt wird er mir in die Hand gedrückt. Jemand hat ihn gefunden und ihn tatsächlich abgegeben. Herzlichen Dank dafür.

Ich setze mir einen Tee auf und frage mich, woher der Besitzer weiß, dass ich an einem Venti Interesse hätte, ohne ein Wort gesagt zu haben – die Antwort sollte am nächsten Morgen folgen. Keine 10 Minuten später drückt er mir den Ventilator in die Hand. Natürlich war der Stecker zu kurz, aber kurzerhand stelle ich den Mülleimer auf den kleinen Tisch, packe den Venti oben drauf, zack – so sieht die Sache schon ganz anders aus. Die Zimmertür ließ ich dennoch offen.

Schon breche ich zu meinem letzten Spaziergang auf, bleibe am Hafen hängen. An einem Kran hängen Leute in der Luft und genießen ihr „Skydinner“, ein skurriler Anblick allemal. Und ein teures Vergnügen dazu. Ein letztes Mal schlender ich zurück in die Unterstadt, folge noch einmal den Spuren der Stadtführung bis hin zum Domberg. Langsam legt sich die Nacht über die Stadt, kurz hinter dem Domberg entdecke ich einen für mich neuen Aussichtspunkt – just in dem Moment, in dem die Sonne untergeht. Menschen sitzen auf der Mauer, jeder, der neu hinzukommt, zückt sein Handy, der Kampf um die besten Fotoplätze ist in vollem Gange, jeder Zentimeter wird genutzt. Ich setze mich in zweiter Reihe auf ein Bänkchen, derweil ein Idiotenpäärchen eine auf der Mauer sitzende Möwe (die natürlich ein begehrtes Fotomotiv ist) mit Plastik füttert und sich dabei totlacht. Eigentlich genügt ein Schubser …

Menschen in solchen Situationen zu beobachten, ist ein hartes Brot – aber das ist an Supermarktkassen meist auch nicht anders. Irgendwann hat die Möwe die Nase voll und macht sich vom Acker – und damit entschwindet das Fotomotiv in die Nacht, wie die Sonne, die nun gleichfalls verschwunden ist, derweil sich die Dunkelheit über Tallinn legt. Stufen führen über die mittelalterliche Mauer hinunter an einen Fußballplatz, dahinter schmiegt sich der Weiher in den Park und bald bin ich wieder am alten Eingang – der mich zu dem Kiosk führt, an dem ich hier mein erstes Bier getrunken habe. Heute gibt es einen kleinen Orangensaft und ein Eis und alsbald laufe ich einen letzten Weg zurück ins Hostel, bleibe noch eine Weile am Hafen hängen und haue mich dann bei laufendem Ventilator in die Nacht – nicht ohne zuvor noch meinen Wecker zu stellen, derweil sich Pia anbietet, mich morgen zur Sicherheit etwas später anzurufen.

Tag V – Heimreise

Noch bevor der Wecker klingelt, werde ich wach, danke dem Ventilator, springe in die Dusche und setze mir einen Tee auf, den ich mit einer Zigarette vor der Tür zum Hostel genieße. Der Mann, den ich gestern fragte, ob er sein Fenster öffnen könne, setzt sich zu mir, wir kommen ins Gespräch. Er hatte dem Besitzer Bescheid gesagt – und war der Auslöser meiner entspannten Nacht. Es stellt sich heraus, dass er schon länger hier wohnt, da er lange in Zypern weilte und sein eigentliches Domizil hier in Tallinn, wo er herkommt, noch nicht fertig ist – was letztlich mein Glück war. Wir sitzen und rauchen und quatschen – und dabei verbabbel ich mein Vorhaben, noch einmal in die Stadt zu pilgern, die Zeit wäre eh knapp bemessen gewesen. Der Besitzer gesellt sich auch noch zu uns – und doch hilft alles nichts, meine Zeit hier geht zu Ende. So verabschiede ich mich von beiden herzlich, schnappe meinen Rucksack und spaziere die wenigen Meter runter zur Fähre. Kaum bin vor Ort, beginnt das Boarding, erneut suche ich mir einen Platz auf dem Sonnendeck und stelle enttäuscht fest, dass es auf dieser Fähre keine Seitenplätze gibt. Aber was soll’s, ich hatte den Genuss auf der „Megastar“ auf der Hinfahrt, so stelle ich mich an die Reling, schaue sehnsüchtig in Richtung der Stadt, deren Gassen ich doch eben noch durchwandert habe, dann legen wir ab, ich sehe jetzt Tallinn immer kleiner werden, die Türme scheinen immer winziger und ich gönne mir unter Deck einen Burger. Den Rest der Fahrt verbringe ich wieder oben an der frischen Luft, eine Etage weiter unten beginnt eine Musikgruppe, die auf Reisen war, polkaeske Melodien zu spielen, Mensch tanzen und klatschen und schon sind wir wieder in Helsinki, es ist heiß.

Am Ticketschalter zur Straßenbahn hat sich eine lange Schlange gebildet und so beschließe ich, zu laufen, ich bin gut in der Zeit, doch der Weg zieht sich. Unterwegs treffe ich noch ein paar Geiselgangster, die gleichfalls an Bord waren und sich hier noch ein Fußballspiel anschauen wollen. Ich spaziere vorbei an Baustellen, der Rucksack drückt, ich schwitze, marschiere dennoch noch einmal zum Marktplatz, winke Richtung Suomenlinna, wo ich doch vor ein paar Tagen erst gewesen bin – was sich schon jetzt wie tiefste Vergangenheit anfühlt, und wandre über den Senatsplatz zum Bahnhof. Eine kleine Stärkung und alsbald bringt mich die Bahn zum Flughafen, natürlich geht wieder einmal alles schneller als gedacht, wieder einmal zu früh – aber ich bin da, besser als zu spät.

Nach dem flotten Security-Check erwische ich am Gate einen Sitzplatz am Fenster, schon jetzt sind 10 Minuten Verspätung angekündigt – die im End knapp 50 werden. 40 Minuten davon sitzen wir im Flugzeug, ich in der dritten Reihe am Gang, immerhin. Und dann geht auch los, endlich – ich hasse das Procedere am Flughafen von der letzten Zigarette bis zur ersten wieder draußen. Der Flug verläuft reibungslos und ich habe Glück, denn Pia hat Zeit, mich abzuholen. Doch noch ist es nicht soweit, kaum sind wir gelandet, fahren wir noch kilometerweit durch die Landebahnen, bis wir endlich am Terminal sind. Jetzt macht sich die dritte Reihe bezahlt, ich bin als einer der ersten draußen – und da sehe ich sie auch schon. Wundersamer Weise steht auch Dario neben ihr – doch der Sachverhalt klärt sich schnell auf. Dario und Stefan sind soeben mit einer anderen Maschine aus Riga gelandet, so eine Europafahrt ohne Familie Minden überall zu treffen, wäre ja auch keine Europaauswärtsfahrt. Wir nehmen die beiden mit in die City – und brechen kaum zuhause auch schon wieder auf. Ana hatte Geburtstag und die Museumsgang auf einen Schoppen im Feinstaub eingeladen. Und da sitzen sie auch schon, die Ana, der Freddy, der Marc, der Sebastian. Später kommt auch noch die Maj, haben wir eben nicht erst in Tallinn nebeneinander gestanden? Auch Lena und Matthias sind noch gekommen und so trinken wir und quatschen. Über das Leben und die Eintracht und das Unterwegssein. Und was sonst noch so passiert. Das ist ja meistens viel, auch wenn wir das oft nicht mitbekommen.

Teil I: Helsinki

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