Und dann lag der Ball im Tor. Wie, das konnten wir nicht erkennen, aber er war drin. Trapp hatte ihn doch schon und jetzt: 2:1 für Chelsea, der Traum war aus. Doch der Schiedsrichter sah mehr als wir, annullierte den Treffer, wir konnten alle eigentlich nicht mehr. Und doch ging es weiter – bis zum grausamen Elfmeterschießen.

An der Stamford Bridge in London werden gerade die letzten Seiten der unfassbaren Europaleague Saison der Frankfurter Eintracht geschrieben – und wieder sind einige Tausend Eintracht Fans dabei. 120 Minuten lang brüllten wir uns die Seele aus dem Leib, wogte das Spiel hin und her – und ich war sicher, dass die Eintracht weiter kommt, ein paar Zeilen nur noch bis Baku. Und jetzt Elfmeterschießen. Direkt vor unseren Augen. Das komplette Tor können wir nicht sehen, alles steht. 3:1 führt die Eintracht, Chelsea verkürzt. Dann Hinteregger, Hinti Army, läuft an, die Blauen jubeln. Noch ist alles drin, weiter, weiter. Die Blauen jubeln wieder. Dann ist es Goncalo Paciencia, der uns bei Benfica die Hoffnung am Leben hielt, er läuft an, schießt, das Netz bewegt sich nicht. Jetzt liegt es an Kevin Trapp, Hazard läuft an, das Netz bewegt sich, die Blauen rennen umeinand – die Eintracht ist raus. Für einen kleinen Moment steht die Zeit still, wir realisieren das Ende der Reise. Abschied. Erinnerungen.

Wir haben auf Korfu in der Taverne Julia gesessen, als die Eintracht das erste Spiel absolvierte, damals, im September 2018 in Marseille. Fans waren ausgesperrt – und wir hatten zuvor schon Urlaub gebucht, ohne auf die Termine zu achten. Der Fußballgott wollte, dass – wenn wir schon nicht können – niemand zum Fußball geht. Und dann ging es Schlag auf Schlag, mit der „Reisegruppe Zypern“ saßen wir im November nachts in Laptha am Pool. Basti Red hatte ein Hotel klar gemacht, und viele zogen nach. Mit Ariane und Niko bestiegen Pia und ich den Flieger, kutschten nachts mit dem Shuttle durch den türkischen Teil Zyperns – und dann ging es hoch her. Mit dem 9er Bus nach Nikosia, die Frage nach dem Heimkommen nach dem Spiel, auch diese wurde irgendwann geklärt.

Die Gruppenphase brachte es ja mit sich, dass genügend Zeit für die Buchungen blieb. Und so blickten wir nur ein paar Wochen vom Petersdom über das verregnete Rom, Andi und Hans Peter waren dabei – auch beim Marsch ins Stadion, bei den Naziprovokationen, bei Hallers so wichtigem Tor, als alles zu kippen drohte.

Im eisigen Charkiw nachts durch die Plattenbau umsäumten Straßen marschiert, die Dali-Ausstellung in Kiew, Freddy war dabei – überall erklang es: Dawai, dawai huh.

Dann Mailand, mit Pia und Steffen auf dem kleinen Balkon mit Blick auf’s San Siro gesessen. Die Raketen und die Furcht vor einer weiteren Auswärtssperre, egal trotz der Unsicherheit sofort nach der Auslosung in der Schweiz auf der Heimfahrt in Hergeswil die Reise nach Lissabon klar gemacht. Egal wie, wir werden da sein – und wir waren da, saßen später mit Izet in Cascais am Meer.

Und jetzt London. Unmittelbar nach Spielende im Rückspiel gegen Benfica haben wir noch im Stadion Flug und Übernachtung gebucht. Normaler Weise sind wir, so in London, immer in Pimlico, doch unser Hotel war für zwei Nächte belegt, also ging es diesmal erstmals Richtung Kensington Olympia, das kleine Zimmer für 56 Euro die Nacht, zwei Kilometer Fußweg zur Stamford Bridge – das klingt doch gut. Leider waren die Flugzeiten nicht ganz so perfekt, erst Dienstag nachmittags ging der Flieger aus Frankfurt und schon in aller Herrgottsfrühe am Samstag zurück. Aber der Direktflug für 220 Flocken, da muss man in diesen Zeiten nehmen, was man kriegt.

Was London angeht, sind Pia und ich ja alte Hasen, fünf Mal waren wir in den letzten Jahren hier, jetzt also die sechste Reise, erstmals steht kein Konzert an, sondern das Halbfinale der Europaleague bei Chelsea. Hätte uns 2011 im November, bei unserer ersten London Tour, jemand gesagt, dass wir hier mit der Eintracht um das Finale spielen würden, wir hätten ihn ausgelacht. Damals siegten wir mit Ach und Krach durch einen last minute Treffer von Matmour mit 4:3 gegen Alemannia Aachen, das Spiel sahen wir im Zeitgeist in Lambeth und die Schlagzeile lautete: Eintracht Frankfurt heißt der neue Tabellenführer der zweiten Liga.

Trotzdem wir mit einiger Verspätung losgeflogen sind, landen wir nahezu planmäßig in Heathrow, laden unsere Oyster Karten auf und springen ein paar Minuten später in die Tube, die uns über Hounslow und Hammersmith zu Barons Court bringt. Von hier ist es eine knappe Viertelstunde Fußweg zur Maclise Road, zu unserer Unterkunft. Ab jetzt heißt es wieder aufpassen. Look Right. Linksverkehr. An der Straße parkt ein Rolls Royce mit verrostetem Kotflügel, das ganze mit Gaffa überklebt. Pia zieht ihr Rollköfferchen hinter sich her, mein grüner Rucksack baumelt über der Schulter und zielstrebig finden wir unsere kleine Straße. Nebenan ein kleiner Off Licence Laden, wir trinken noch ein Carlsberg und schon kommt Steve, unser Gastgeber, und führt uns die Treppen hinab in unser Zimmer. Es ist winzig klein, aber alles ist da und sauber ist es auch. Ein Bett steht im Raum, an der Wand ein Brett mit Wasserkocher, Kaffeemaschine, nebenan ein kleiner Kühlschrank, dazu separat eine Toilette und eine Dusche. Jo, sieht gut aus.

Kaum haben wir unsere Sachen ausgepackt, geht es durch ruhige Wohnviertel hoch nach Shepherds Bush, einem quirligen Stadtteil mit vielen Läden an der Shepherds Bush Road, an der Uxbridge Road. Multitkulti vom Feinsten. Letztes Jahr spielte hier Jim Bob im O2 Empire, das wir links liegen lassen – unser Ziel ist der Shabab Curry Laden um die Ecke des Shepherds Bush Market. Beste Lammkoteletts oder Curries für 7 Pfund – in London musst du wissen, wo du hin gehst, sonst wirst du arm – aber nach all den Jahren kennen wir schon das ein oder andere. Sonst wäre das alles auch gar nicht möglich. Später sehen wir im Richmonds Pub noch die letzten Minuten des unfassbaren 4:0 von Liverpool gegen Barcelona. Hat die Woche der Wunder begonnen?

Zunächst aber steht uns ein ganzer Tag zur freien Verfügung, hallo London, hier sind wir. Und der Regen so: Hallo, ich auch. Es schüttet. So nehmen wir nach einem kleinen Frühstück den 90er Bus von Royal Crescent Richtung Piccadilly. Die Scheiben sind beschlagen als wir Notting Hill und den Hyde Park passieren, die Leuchtreklame am Piccadilly Circus spiegelt sich in den regennassen Straßen, die roten Doppeldecker rollen vorbei, Passanten hasten vorüber, während wir uns im Lillywhites umgucken. Wenn du Sportschuhe brauchst, hier findest du sie. Und so ist es, Pia findet immer etwas – und da es immer noch regnet, beschließen wir, einen kleinen Ausflug in die National Gallery zu machen. Das ist der Vorteil Londons, wenn es regnet kannst du immer in die großen Museen gehen, ob Tate, Modern Tate, British Museum oder National Gallery – der Eintritt ist frei und es lohnt sich. Zielstrebig suchen wir die Räume des 19. Jahrhunderts auf, Turner, Friedrich, Monet. Eine Schulklasse in gelben Warnwesten sitzt auf dem Weg im Schneidersitz vor einem großen Gemälde von Luca Giordano, im Mittelpunkt der abgeschlagene Kopf der Medusa. Die Lehrerin erklärt unterhaltsam. Später treffen wir sie wieder vor einem Gemälde, in dem ein Drache getötet wird. Ein kleines bisschen Horrorshow für die Kleinen. So wichtig.

Wir gucken uns die Themse unten bei Westminster von Monet an, die Winterlandschaft von Friedrich, die bevorstehende Enthauptung der Lady Jane Grey von Paul Leroche und das phantastische „An Experiment on a Bird in the Air Pump“ von Joseph Wright ‚of Derby‘. Dann reicht es auch, die Sonnenblumen van Goghs sind ans Tate verliehen und wir haben Hunger. In der Tarchbrook Street in Pimlico gibt es einen kleinen Markt, das könnte doch ein Ziel sein. Leider kommt der Bus nicht, also kämpfen wir uns durch den Regen vom Trafalgar Square zu Fuß Richtung Themse, stellen uns hie und da unter, schlendern am eingerüsteten Big Ben vorbei, treffen auf eine Volunteersgruppe der Eintracht, gucken, ob wir am House of Parliament einen Blick auf Theresa May erhaschen, während Londoner für und gegen den Brexit demonstrieren. Ob der kleine Archie, der neugeborene Siebte in der britischen Thronfolge, dafür oder dagegen ist, wissen wir nicht. Dass die Taxis streiken aber wird offensichtlich. An der Tate vorbei geht es hoch nach Pimlico, unsere „alte Heimat“. Wie oft sind wir hier schon entlang spaziert – und tatsächlich, ein Gefühl von Heimat durchweht uns. Vor allem, als wir nach dem Essen am Markt den Warwick Way entlang spazieren und am Hotel Enrico vorbei kommen. Doch diesmal haben wir keinen Schlüssel.

Von dort geht es wieder Richtung Themse, gegenüber die modernisierte Battersea Power Station, die Glasfassaden der Hochhäuser der Southbank. Und da wir schon hier sind, beschließen wir, einen Blick auf die Stamford Bridge zu werfen. Hausboote dümpeln am Ufer, dahinter wächst Chelsea Harbour, das nächste exclusive Wohngebiet, von alten Industriebauten stehen nur noch die Fassaden, Hochhäuser werden auch hier hoch gezogen – mit Sicht auf die Themse. Kinder spielen hier keine. Die müssen ja auch alle den Kopf der Medusa anschauen.

Das Stadion ist von der Fulham Road als Stadion nicht wirklich ersichtlich, Hotels und Häuser versperren den Blick, aber du erkennst es an den Schildern und der Security, die schon vor dem Eingang kontrolliert – und uns freundlich durchlässt. Hier wird morgen auch unser Eingang sein. Wir umrunden die alte Stadionmauer, Bilder von Legenden hängen an der Wand, der unvermeidliche Megastore dazu. Auf der Fulham Road hängen an Lampenmasten Portraits von Chelsea Spielern. Pia meint, das könnte auch an der Kennedyallee eine gute Idee sein – und wo sie Recht hat, hat sie Recht.

Wir treiben durch den Regen die geschäftige North End Road nach oben, versacken kurz im Zimmer, bis es wenig später wieder hoch nach Shepherds Bush zum Abendessen geht. Natürlich im Shabab. Anschließend werden wir im Richmonds Pub Zeuge, wie die Woche der Wunder weiter geht. Tottenham dreht das 0:1 aus dem Hinspiel bei Ajax bei 0:2 Halbzeit Rückstand noch in der letzten Sekunde. Der Pub rastet aus. Wir wandern durch die Dunkelheit zurück durch die Blythe Road. Müde und voller Eindrücke fallen die Augen zu.

Matchday

Natürlich regnet es. Früh schon sind wir auf den Beinen, frühstücken und machen uns auf Richtung Holland Park. Der Plan sah eigentlich vor, über den Holland Park, Kensington Gardens und Hyde Park Richtung Leicester Square zum Treffpunkt zu wandern, aber das Wetter spielt nicht mit. So spazieren wir an den vornehmen Häusern am Holland Park vorbei an Kameras und Range Rovern hinein in den Park, passieren einen kleinen Wasserfall und ändern den Plan. Wir sind ja nicht weit weg von Notting Hill und ein Spaziergang durch die Portobello Road ist immer eine feine Sache, zumal in den kleinen Geschäftchen immer das ein oder andere abfällt, für Pia ein Rock und für mich eine Tasche, in die sogar „Beve“ eingestanzt wird. Dann machen wir es kurz und schmerzlos, nehmen die Tube bei Ladbroke Grove Richtung Shepherds Bush, und schlendern dort über den Markt. Hier ist Asien. Und Afrika. Und England, welch ein Unterschied zu den Range Rovern beparkten Straßen unten am Park. Mittagessen bei Shabab und dann der Rückweg, noch steht ein langer Tag bevor, da heißt es: Kräfte sammeln.

Gegen 15 Uhr machen wir uns auf, in der Hand ein Dosenbier, den Eintrachtschal um den Hals, geht es zu Fuß die North End Road nach unten. Der ein oder andere Pub bietet nur Platz für Heimfans, das kann uns aber egal sein. Sicher verstaut liegen die Tickets in der Tasche, nach dreimaligem Überprüfen wissen wir das ganz genau. Ein alter Doppeldeckerbus schiebt sich an uns vorbei, „Zuhause in Europa“ weißt das Schild aus, wo sonst die Endstation angeschrieben steht. Aber hallo. So wandern wir langsam vor zum großen Einkaufscenter neben dem Stadion, überall drücken sich jetzt Eintrachtfans durch die Wege, wir nehmen Dosenbier und zur Sicherheit eine Plastiktüte, teilen das Bier mit einem Eintrachtfan und stellen uns ans Eck. Und ab jetzt heißt es überall Gude wie. Tausend Begegnungen, tausend Gespräche, tausend Geschichten. Gerd konnte wie Vatmier noch eine Karte ergattern, Jürgen war überall dabei, und die Polizei lässt uns in Ruhe. Naja, erstmal, irgendwann kommt einer vorbei und nimmt uns freundlich aber bestimmt die letzte Dose ab. „Enjoy the game“. Machen wir, holen uns aber zuvor noch ein weiteres Bier, trinken die Dose aus der Plastiktüte, überwinden die 40 Pence Toilette im Einkaufszentrum hoch geschickt und ausgeklügelt, da uns die Münzen ausgegangen sind. Und dann müssen wir unbedingt noch Familie Minden treffen, die wir überall getroffen haben. Nur nicht in Lissabon. Und prompt setzte es eine Niederlage. Dank moderner Technik klappt das auch tadellos, jetzt ist Gewimmel und Gewusel, Lukas stößt zu uns, da ist auch Anno und ehe wir uns versehen, sind wir im Stadion, das ging ja entspannt und flott.

Wir stehen unten in der letzten Reihe, das Spielfeld ist nicht weit weg, direkt hinter uns sind die Rollifahrer. Erstmal eine rauchen, auch das klappt tadellos. Ana hat uns entdeckt, später kommen auch Maj und Pauline, die noch vor wenigen Wochen in Zypern mit uns am Pool saßen. Europacup in diesem Jahr. Eine Fähnchenchoreographie später geht’s los, Haller auf der Bank, die Eintracht in weiß. Wir brüllen. Singen. Pöbeln. Alles steht. Loftus-Cheek macht das 1:0 für Chelsea, egal, weiter, weiter. Ich schenke einem Ordner hinter mir das Choreo Fähnchen, er freut sich. Ob Rom, Mailand oder London … If you hate fucking Chelsea, clap your hands …, alle geben alles. Bis auf den Cop, der den Mädels neben mir das Rauchen verbieten will. Das lasse ich mir nicht bieten, bin kurz davor zu eskalieren. Egal, irgendwann gibt er wie ich Ruhe. If you hate fucking Chelsea clap your hands…

In der Pause hält Pia das Eintrachtfähnchen nach oben, bis ihr die Arme fast abfallen, aber sie hält durch. Dann ist es Gacinovic, zu Jovic – und er trifft, wir drehen durch. Chelsea spielt bei weitem nicht so stark wie im Hinspiel, die Eintracht bleibt dran, ich bin sicher, das verlieren wir heute nicht. Und es geht tatsächlich in die Verlängerung, kurz zuvor wurde Haller noch eingewechselt. Und weshalb Azpilicueta noch auf dem Platz steht, wissen die Götter. Mit beiden Beinen voraus auf Gacinovic, das war eigentlich glatt rot. In der Verlängerung hat die Eintracht wieder ihre Chancen, Luiz rettet auf der Linie. Und dann liegt der Ball im Tor. Wie, das konnten wir nicht erkennen, aber er ist  drin. Trapp hatte ihn doch schon und jetzt: 2:1 für Chelsea, der Traum ist aus. Doch der Schiedsrichter sieht mehr als wir, annulliert den Treffer, wir können alle eigentlich nicht mehr. Und doch geht es weiter – bis zum grausamen Elfmeterschießen. An der Stamford Bridge. Bei Chelsea. One step to Baku. Direkt vor unseren Augen. Das komplette Tor können wir nicht sehen, alles steht. 3:1 führt die Eintracht, Chelsea verkürzt. Dann Hinteregger, Hinti Army, läuft an, die Blauen jubeln. Noch ist alles drin, weiter, weiter. Die Blauen jubeln wieder. Dann ist es Goncalo Paciencia, der uns bei Benfica die Hoffnung am Leben hielt, er läuft an, schießt, das Netz bewegt sich nicht. Jetzt liegt es an Kevin Trapp, Hazard läuft an, das Netz bewegt sich, die Blauen rennen umeinand – die Eintracht ist raus. Für einen kleinen Moment steht die Zeit still, wir realisieren das Ende der Reise. Abschied.

Binnen kurzem leert sich das Stadion, die Blauen strömen zu den Ausgängen. Heroes läuft von David Bowie. Liquidator, Madness. Der wirkliche Wahnsinn aber spielt sich in und vor unsere Kurve ab. Hinteregger steht verloren an der Seite, Paciencia ist geknickt. Traurigkeit, Trotz, Stolz, Würde, eine Melange an Gefühlen arbeitet in uns allen. Tränen fließen. Auf den seitlichen Tribünen sehen wir erst jetzt, wie viele Eintrachtler hier sind. Und wir feiern unsere Eintracht mit unserer Eintracht und wir singen „Im Herzen von Europa“. Hinteregger wird wie alle getröstet, niemand ist auf jemand böse. Das ist er nun, der Abschied von der europäischen Bühne von Eintracht Frankfurt. Und welch ein dramatischer Abschied, welch ein dramatischer Auftritt. Und ein ganz kleines bisschen bin ich auch erleichtert. Es war alles schon ganz schön viel, die Reisen und Auslosungen, die Kosten, die Flüge und Eindrücke, die wenige Zeit zum Verarbeiten, doch ein einziges Mal noch, das wäre doch noch gegangen. Vorbei.

Wir gehen raus, der Himmel weint. Meter für Meter schieben wir uns die North End Road hoch, treffen Bekannte, öffnen ein Dosenbier, stellen uns unter und laufen die letzten Meter mit David vom EFC Idstein Richtung Unterkunft. Noch ein Schöppchen für die Nacht. Dann fallen wir in einen tiefen Schlaf. Und träumen von all unseren Reisen und Erlebnissen.

Am nächsten Morgen lacht die Sonne uns aus, wir sind aber darob nicht böse. Ausgeschieden ist die Eintracht zwar immer noch und statt unserer Naturgewalt darf das dröge Chelsea zum Finale nach Baku. Sollen sie sehen, wie sie damit klar kommen. Wir aber haben noch einen Tag in London. Und diesen wollen wir nutzen. Auch wenn wir heiser und kaputt sind.

Im Café Paradiso gibts zum Frühstück Pasteis de Nata, dann laufen wir vor zur Station Hammersmith, der Bus bringt uns nach Richmond außerhalb des Trubels, wir sitzen oben vorne im Doppeldecker, schieben uns an der Themse entlang über Chiswick nach Richmond, trinken im Sonnenschein einen Tee und wandern durch kleine Gässchen runter an den Fluss, der hier noch malerisch in Richtung der großen Stadt mäandert. Spaziergänger verweilen in den Cafés, Bootchen liegen am Ufer, andere werden repariert, der Spaziergang an der Themse an Wiesen vorbei bringt uns zu Petersham Meadows und von dort zur Deutschen Schule. Dann verfransen wir uns und landen am Golfplatz in Richmond. Wir passen auf, dass wir nicht getroffen werden, schlendern durch ein Wohngebiet, in dem der Range Rover wie auch die Überwachungskamera zur Grundausstattung gehört und landen an einem kleinem Friedhof vorbei marschierend endlich im Richmond Park, dem größten umbauten Park in Europa. Hirsche tapsen umher und vom King Henry Mound blicken wir in die Ferne. Durch ein Fernglas siehst du sogar durch freigeschnittene Büsche die St. Pauls Cathedral in London City. Über 10 Kilometer entfernt. Flugzeuge schweben oben Richtung Heathrow, wir genießen die Parkstille, trinken eine Cola, können fast die Hirsche streicheln. Es ist nach den aufregenden Tagen genau der richtige Platz für uns, kaum Menschen, viele Tiere, alte Eichen, Kastanien – und wir laufen, bis die Füße schmerzen.

Später bringt uns der Bus zurück bis fast nach Hammersmith, die Brücke allerdings ist gesperrt – und so laufen wir weiter, bis wir wieder im Zimmer sind. Einmal noch brechen wir auf Richtung Shepherds Bush, treffen uns mit Caro und Oli zum Abendessen, wie wir auch schon gemeinsam in Zypern gemeinsam unterwegs waren und nehmen bei einem Bier im Richmonds Pub Abschied. Gegen elf sind wir zuhause, packen unsere Siebensachen zusammen, schon um vier klingelt der Wecker, um 7:05 geht der Flieger – da bleibt nicht mehr viel Zeit. Und kaum bin ich eingeschlafen, geht es auch schon los.

Durch die dunkle Blythe Road tapern wir Richtung Barons Court, eben erst sind wir doch angekommen, jetzt geht es schon wieder heim. Keine fünf Minuten später kommt die Tube und nimmt uns mit Richtung Heathrow. Nachtschwärmer mischen sich mit Reisenden, einer schläft und ist kaum wach zu bekommen und pünktlich wie die Maurer landen wir am Airport. Schnelle Sicherheitskontrolle, ein müder Kaffee und planmäßig heben wir ab. Wie immer halten wir uns beim Abheben an den Händen, auch diesmal geht alles gut. Frankfurt, du hast uns wieder. Statt Hammersmith heißt es jetzt wieder Hauptwache, statt Shepherds Bush Sachsenhausen und statt Notting Hill Nordend. Ein paar Schritte noch vom Günthersburgpark, vorbei am parkenden Dacia und die Europacup-Saison hat ihr endgültiges Ende gefunden. Wir haben in Zypern am Pool gelegen, in Rom Münzen in den Brunnen geworfen, sind in Charkiw durch die eisige Sternennacht marschiert, haben in Mailand am Kanal Espresso getrunken, in Lissabon auf den Tejo geträumt, im Londoner Regen gestanden. Danke SGE.

Und jetzt heißt es: Europacup, Europacup im nächsten Jahr. Danke für’s mitkommen, wer weiß schon, was passiert, wo wir landen werden und was die Zeit mit sich bringt. Aber was war, das bleibt.

Und es bleibt viel. Die tollen Reisen und unfassbaren Auftritte unserer Eintracht. Die Einheit zwischen Mannschaft und Fans, um die uns viele beneidet haben. Aber diese Einheit fiel nicht vom Himmel. Sie hat viel damit zu tun, dass die Eintracht Frankfurt Fußball AG Fans nicht ausließlich als Kunden begreift sondern die Leidenschaft der Kurve als unverzichtbarer Bestandteil des Fußballs akzeptiert. Die Eintracht ist kein Marketingprodukt, keine Investition eines Millardärs, kein auf maximalen Profit getrimmtes Unternehmen, welches etwaige Schattenseiten eliminiert. Die Kommunikation zwischen AG und Fans, die Kommunikation der einzelnen Fangruppierungen, all dies sind Bedingungen, die über die Jahre erarbeitet wurden, erkämpft wurden und den Grundstein legten für diese Saison. Und wenn auf der einen Seite korrupte Verbände mit aalglatten Geschäftsleuten ein Modell entwerfen, in dem Marketingkonzepte, Profitmaxmierungen und Agenturclaims im Vordergrund stehen, dann lasst uns ihnen zurufen: Seele und Herz könnt ihr nie kaufen. Ihr könnt Fußball simulieren aber nicht leben. Ihr könnt in Geld baden und euch Titel auf die Sponsorenwimpel schreiben. Aber ihr werdet nie das erleben, was wir alle erlebt haben. Und wir müssen dafür sorgen, dass dies so bleibt. Auch wenn wir wieder durch Täler schreiten werden. Wir kennen sie. Und wir werden uns erinnern. An Rom, Mailand oder London …

Bleibt gesund, wünscht euch Beve – Das war er, der Europacup 2018/2019.