Jetzt ist es also passiert, die „Mannschaft“ hat bei der WM in Russland – völlig zu Recht – die Vorrunde nicht überstanden. Sang- und klanglos ging die Truppe um Jogi Löw unter. Ich nehme dies zur Kenntnis, weder bin ich betrübt, noch bin ich hocherfreut. Es ist mir schlicht egal. Wobei, so ganz kann ich mir eine kleine klammheimliche Freude nicht verkneifen.
Das letzte Mal als ich so richtig mit der Nationalmannschaft mitfieberte war 1986, was war ich geknickt, als Burruchaga das 3:2 für Argentinien erzielte, zumal kurz zuvor Rummenigge und Völler aus einem 0:2 noch ein 2:2 gemacht hatten. Seither hält sich meine Liebe zu Deutschland im Besonderen und zur Nationalmannschaft in Grenzen. Meist ist sie mir egal, wenn sie gut spielen oder ein paar gute Jungs dabei sind (Wer kann Podolski schon böse sein?), oder wenn Spieler der Eintracht dabei sind, was selten genug vorkommt, dann drücke ich ihnen die Daumen. Von daher ist meine Lieblingsgrafik auch die von der Rundschau veröffentlichte Frage nach dem Mexikospiel, wie es denn nun weitergehe:
Ich hatte schon vor der WM mit der Truppe abgeschlossen. Mal abgesehen von der überdrehten Marketingmaschinerie, dem bigotten DFB, den idiotischen Bildern von Özil und Gündogan mit Erdogan und der desaströsen Kommunikation, missfielen mir vor allem Bierhoffs Aussagen über den Ausgang des Pokalfinales, dieses „Wir“, welches gegen die Eintracht verloren hat, zumal ja schon im Jahr zuvor DFB-Präsident Grindel dem BVB den Sieg gegönnt hätte. Das Verhalten der Bayernspieler, die nach dem Pokalfinale der Eintracht keinen Respekt zollten, (außer Neuer und Starke) tat ein Übriges. DAS sind nicht meine Jungs. Who cares.
Die Warenproduzenten legten nach, von Klopapier bis Weingummi versuchten sie, jedes noch so fußballferne Produkt zu schlandisieren, um auf den Zug aufzuspringen und vom „Fußball“ zu profitieren. Ich bin da schlicht und kaufe prinzipiell nichts dieser Art. Football is for you an me and not for fucking industry, ein einfacher Satz und widersprüchlich sowieso, da football nunmal fucking industry ist – dennoch weigere ich mich, an Verblödungszeremonien teilzuhaben. Zumindest weitgehend. Dazu gehört auch dieses alberne Produkt „Fanclub Nationalmannschaft“. Agenturesk aufgezogene Selbstentmündigung, glattgeschliffen bis zum Erbrechen, Humorbefreit und kritiklos – das exakte Gegenteil einer lebendigen und zuweilen auch überdrehenden Fankurve. Wenn ich an die Bilder der Eintrachtkurve in Berlin denke, dieses in sich pulsierende Wesen tausender Individuen in seiner gesamten Lebendig- und Leidensfähigkeit, diese echte orgiastische Fassungslosigkeit nach dem finalen Treffer von Gacinovic nach Jahrzehnten des Darbens, dann geht mir das Herz auf. Oder tausende Kölner in London, die Gladbacher in Rom. Da brauchst du niemandem zu sagen, was er oder sie zu und zu lassen hat. Da brauchts keine Agentur, keine Inszenierung von oben. Fußball.
Wenn ich die Autos mit den Fähnchen am Fenster sehe, denke ich immer: Arsch mit Ohren und muss grinsen. Manchmal stelle ich mir vor, das sind genau die Leute, die die Foren volltrollen und sich an Özil abarbeiten. Nicht weil er augenscheinlich ein Volltrottel ist, sondern weil er ein türkischer Volltrottel ist. In ihren Augen. Jede/r, der mit einem schwarzrotgoldenen Cowboyhut durch die Gegend läuft, ist nicht satisfaktionsfähig. Das fängt bei ästhetischen Gründen an und endet im sichtbar gewordenem Geist.
Natürlich gibt es auch die anderen, die, die ganz schlicht sagen: Ich komme aus Deutschland, das ist meine Mannschaft und deshalb unterstütze ich sie auch. Das ist völlig legitim – mir aber sind zu viele Begleitgeräusche dabei, die mir das Unternehmen „Nation“ vergällen, zu viele und zu vieles ist im Boot, mit dem ich nichts gemein habe, allen voran die unsägliche BILD, dieses in jedem Sinne bigotten Blattes der gepflegten Bösartigkeit. Jogi Löw indes halte ich für einen guten Trainer und einen sympathischen Zeitgenossen, so ich das aus der Ferne beurteilen kann. Jetzt hat er Fehler gemacht – das wird er selbst am besten wissen.
Aus dem so scheinbaren harmlosen Patriotismus des „Sommermärchens“, dieser vermeintlich schwarz-rot-goldenen Leichtigkeit, die in der Tat 2006 einerseits zu einem entspannten Sommer geführt hat, steckte schon damals der Keim des „Deutschland, Deutschland über alles“, der in der AfD und Pegida aufgegangen ist, mündend in der Ablehnung der Nationalmannschaft eines Özils, Gündogans oder Boatengs, da sie nicht deutsch genug ist. Nicht deutsch genug. Welch groteske Kategorie, erinnernd an Volljude, Halbjude, Geltungsjude. Aber machen wir uns nichts vor, die nationale Identität als eigene Selbsterhöhung zu protegieren ist kein deutsches Privileg; wir erleben es derzeit in Österreich, Italien, Ungarn – wo auch immer. Es ist eigentlich eine Bankrotterklärung des eigenen Ichs, eine Reduktion eines vielseitigen Lebens auf das armseligste, der fleischgewordene Minderwertigkeitskomplex.
Dabei geht es „bloß“ um Fußball, der im besten Sinne alles nivellieren kann, was oftmals vermeintlich trennt. Hautfarbe, sozialer Status, finanzieller Status – auf dem Platz und auf den Rängen könnte das alles egal sein, ein multikulturelle Truppe wurde Pokalsieger, auf den Rängen drehten Millionäre und Hartzer durch, die Gefühle fragen in solchen Momenten nicht nach Herkunft, Hautfarbe, Einkommen oder Geschlecht. Und sonst ist es eigentlich auch egal. Wie mir das Vorrundenaus der „Mannschaft“ egal ist. Wobei es wohl folgerichtig ist, zu vieles liegt im Argen, in jeglicher Hinsicht, und von daher sind Momente der Besinnung nicht verkehrt. Freuen wir uns also auf eine heitere WM in Katar, wenn es heißt: „Missstände?“ Haben wir nicht gesehen.“