Ob womöglich schon Schnee liegt, oben auf dem Feldberg? Ob es die Rinderbrühe noch im dortigen Kiosk gibt? Der Kiosk selbst hat ja das Aus verhindern können – Zeit also, mal wieder auf der höchsten Erhebung des Taunus vorbei zu schneien.

Ich parke den Dacia auf dem Platz Pfahlgraben kurz hinter dem Sandplacken. Praktisch sind an solchen Parkplätzen immer die Hinweistafeln mit Karte und Wanderwegen – auf dass auch niemand im Wald verloren geht. Und so folge ich dem Weg des Fuchses – über Fuchstanz und Feldberg ein Rundweg von knapp drei Stunden. Wenn alles glatt geht, bin ich bei einbrechender Dunkelheit wieder am Wagen, wenn nicht, weiß ich auch nicht …

Minimale Schneereste säumen den Weg, irgendwo im Wald kreischt eine Kettensäge, die Last des Alltags verfängt sich in den Ästen der Bäume, Begegnungen sind selten. Ich marschiere frohgemut vor mich hin, der Weg ist einfach und er führt leicht bergab. Ich versuche, die Töne des Waldes zu fotografieren, das Plätschern eines Rinnsales, es mag nicht ganz gelingen. Mit einer Kamera in der Hand werden seltsame Dinge interessant, ein auf dem Boden liegender Zettel mit dem Hinweis, Fahrrad fahren verboten oder der von Hand geschriebene Hinweis auf einem Holzzaun, dass der Wald kaputt gemacht wird. Auch die schweren Baumstämme der gefällten Giganten fordern Aufmerksamkeit. Man grüßt sich im Wald. Und hofft, dass der blinkende Akku noch eine Weile hält.

Zum Fuchstanz hinunter geht es bergab, da ich ja noch zum Großen Feldberg hinauf will, sehe ich die kommende Steigung schon vor mir. An der Restauration am Fuchstanz ist nichts los, keine Spaziergänger, keine Radler und so folge ich brav dem Zeichen des Fuchses. Linker Hand die ausgewiesene Mountainbikestrecke, sie bleibt heute unbefahren. Je weiter es nach oben geht, desto anstrengender wird es, ich merke die Zigaretten und die in den Knochen sitzenden Tage. Die Schneereste nehmen zu, es ist der erste Schnee, den ich dies Jahr sehe. Der Winter kündigt sich ja sonst in den Prospekten Aldis an, Anfang November, wenn sich die Welt streitet, ob St. Martin einen leuchtenden Kürbis vor die Tür gestellt hat. Sonnenstrahlen brechen durch die Lichtung, Elfentanz.

Dann keucht es plötzlich, ein Mountainbiker schiebt sich den Berg hoch. Da ich eine Fotopause eingelegt habe, ist er nun dicht hinter mir und schnauft, adé schöne Waldeinsamkeit. Er schnauft und kommt nicht an mir vorbei. So bleibe ich stehen – und habe ihn nun im Bild, nachdem er sich an mir vorbei gekämpft hat. Doch nach wenigen Schritten erreiche ich das Plateau des Feldbergs, den Feldberghof, den mächtigen Fernsehturm, die Sendemasten – und das Gipfelkreuz, das ich so auch noch nicht kannte. Motorradfahrer treffen sich, Kinder laufen umher. Vom Gasthof hat man bestimmt einen schönen Blick ins Tal. Ich freue mich über den Kiosk, wie in all den Jahren, in denen ich immer mal hier war. Alte Postkarten, frische Wurstwaren im Angebot trotzt er noch der Zeit.

Es gibts sie noch, die Rinderbrühe, den Becher zu 1,40 € – und während sich die Sonne behutsam zur Nacht neigt, marschiere ich vor zum Brunhildisfelsen, ein einsamer Schlitten steht auf einem armseligen Häuflein Schnee. Herbstlichtbilderblick vom Felsen – als hätte Caspar David Friedrich gemalt. Eine Familie bittet mich, sie zu fotografieren – immerhin, es blitzt dreimal, der Akku hat durchgehalten.

Bevor es dunkel wird, laufe ich wieder los – drei Kilometer liegen noch vor mir, der Weg scheint klar, aber falsch abbiegen willst du auch nicht bei Dunkelheit im Wald. Auf der Landstraße ziehen vereinzelte Autos ihre Kreise, manchmal sehe ich nach einer Biegung die Lichter. In einer Kurve steht ein Kreuz, Mario ist 2000 hier gestorben, 22, 23 Jahre alt, die Grablichter scheinen neu. Vielleicht hat er oben noch eine Rinderbrühe getrunken, nichts ahnend, dass sein Leben, seine Träume in fünf Minuten Geschichte sein werden. Hier hat jemand geweint.

Es dauert nicht lange und ich erreiche das Hotel am Sandplacken, aber wo genau war noch mal der Parkplatz? Es ist dunkel, ich gehe ein paar Meter zurück, Lichter der Autos am Dunkelabend. An der Stelle, an der ich aus dem Wald gekommen bin, sehe ich schwach ein Schild. Und da steht er in der Finsternis, der rote Dacia, dessen Farbe kaum zu erkennen ist.

Wenig später rolle ich den Berg hinab, erreiche die A661, reihe mich ein in die Wagenschlange, Feierabendverkehr. Es geht immer weiter. Als Kind fragte ich mich: Wer ist eigentlich der erste auf der Autobahn.